Instrumente für Prince und Lang Lang, per Hand und mit dem Heli, auf Gletschern und in Konzertsälen: Christian Ciecior transportiert seit über 30 Jahren Flügel.

Text · Fotos © privat · Datum 18.12.2019

»Der normale Salonflügel wiegt 350–400 kg, die großen Konzertflügel in der Regel 500 kg, aber da gibt’s natürlich auch Sondermodelle wie den großen 2,80er von Schimmel, der wiegt dann schon 600 kg«, erklärt Christian Ciecior am Telefon, während er seinen Sprinter von Hamburg aus in Richtung Braunschweig steuert. Es knirscht und knarzt durch die Freisprechanlage, aber diese Geräuschkulisse passt zu seiner zupackenden, unkomplizierten Art.1985 gründete Christian ein Transportunternehmen, weil ihn eine befreundete Rockband gebeten hatte, ihre Tour zu betreuen. Zwei Jahre später stand dann eher zufällig der erste Flügel zur Abholung bereit – in der 5. Etage. »Danach habe ich gedacht: nie wieder! Ich fasse so ein Ding nicht mehr an. Wenn du nicht weißt, wie das geht: lass es! Entweder geht das Instrument kaputt, oder die Treppe, oder die Träger. Oder alle drei. Aber eins davon bestimmt.« Der Klavierbauer, der ihn mit der Abholung beauftragt hatte, überredet ihn aber, weiterzumachen.

Braunschweig bietet für solch eine Unternehmung gute Startvoraussetzungen, gleich zwei Klavierwerke haben hier ihren Sitz: Schimmel und Grotrian-Steinweg. 1988 wird dort außerdem das »Braunschweiger Kammermusikpodium« (später »Braunschweig Classicx Festival«) ins Leben gerufen. Der technischen Leiter des Festivals, der Christian zufällig vom Musikmachen in einer 70er-Jahre-Showband kennt, engagiert ihn. »Erst haben wir nur für das Festival und nur für Schimmel die Instrumente transportiert, später auch für Grotrian. Dann hat mich irgendwann der alte Herr Schimmel gefragt, ob ich mir auch vorstellen könnte, die Flügel zu anderen Veranstaltungen zu transportieren, zu Messen, Konzerten, Fernsehshows. Bald haben dann alle Fernsehsender, die einen Flügel brauchten, nur noch bei Schimmel bestellt, weil wir das so verlässlich gemacht haben. Wenn es hieß: ›Wir brauchen Sonntag morgen einen Flügel auf der Waldlichtung‹, dann waren wir Sonntag morgen da, haben drei Stunden gewartet, bis alles abgedreht war und den Flügel gleich wieder mitgenommen. Mit anderen Speditionen war das immer total kompliziert. Über Jahre sind wir also mit einem Sprinter und einem Flügel quer durch Deutschland gefahren.« Christians Erzählungen rufen in mir Erinnerungen an eine Zeit wach, in der ich als Setrunnerin oder Tonassistentin bei Filmproduktionen gearbeitet habe: die Begeisterung, die Geschäftigkeit, die Leidensbereitschaft. Erschöpfung vergeht, Film bleibt. Wenn man dafür fünf Stunden lang einen Flügel über unwegsames Gelände schleppen oder zwei Tage am Schweizer Zoll auf eine Amtstierärztin warten muss, damit sie eine Minute lang die Elfenbeintasten eines historischen Flügels untersucht (um sich dann selbst sehr über diese Vorschrift zu wundern): so what. Vor zwei Jahren hat Christian die Firma verkauft, er arbeitet dort aber noch immer als Tourneeleiter. Und er bringt auch weiterhin Flügel dahin, wo sie gebraucht werden: »Im Jahr gehen tausend Instrumente durch die Hände der Firma Ciecior. Manche in der Branche nennen mich auch den ›Herrn der Flügel‹.«

Christian Ciecior (links)
Christian Ciecior (links)

VAN: Gibt es Modelle, die besonders ätzend zu tragen sind?

Christian Ciecior: Nein. Man braucht für den Transport Hilfsgeräte, die man an den Flügel schraubt. Flügel werden immer hochkant transportiert. An der langen Seite wird ein Holzstück, ein Transportschlitten drangeschaubt und dann wird der Flügel auf die Seite gekippt. Das funktioniert bei allen gleich gut. Das einzige, was ich bemängle: Einige der besten Flügelhersteller liefern die Flügel ab Werk mit den schlechtesten Transportschlitten, zu schmal. Wir haben versucht, das rückzumelden, aber das ist irgendwie nicht angekommen.

Steinway hat übrigens Flügel lange nur freitags geliefert und montags wieder abgeholt, auch, wenn die nur für eine Drei-Stunden-Matinee am Sonntag gebraucht wurden. Obwohl unser Service viel besser ist, wollten die erst nicht mit uns zusammenarbeiten, weil wir nicht billiger als deren Spedition waren. Mittlerweile rufen die mich aber auch an, wenn zum Beispiel Elvis Costello auf Tour keine Lust mehr auf seinen Yamaha-Flügel hat und morgen in London einen Steinway braucht. Dann sag ich: ›Ok, ich fahr gleich los.‹

Auf eurer Website steht, ihr transportiert auch mal Instrumente mit dem Helikopter. In welchen Fällen muss das sein?

Mitte der 80er Jahre wollte zum Beispiel das Schweizer Fernsehen Udo Jürgens einen neuen Song auf dem Titlis-Gletscher performen lassen. Und die Moderatoren hatten auch noch die Idee, dass sie während der Anmoderation am Glasflügel sitzen, der dann plötzlich hochschwebt, am Helikopter auf den Gletscher geflogen wird und Udo Jürgens dann da oben spielt. Das Instrument musste also aufgebaut da hoch. Das hatte vorher noch niemand gemacht. Keiner wusste, wie man bei einem Flügel, der auf drei Beinen steht, überhaupt die Transportschlaufen anbringen kann. Ich habe mir im Vorfeld viele viele Gedanken gemacht, mit den Piloten gesprochen. Dann haben wir alles aufgebaut auf einem Parkplatz. Ich habe die Transportschlaufen befestigt, der Heli startet, lässt einen Haken runter. Man kann nicht mehr atmen, weil die Rotorblätter einem die Luft wegsaugen. Dann hänge ich den Flügel ein, der Heli geht hoch und ich weiß: Es gibt nur diesen einen Versuch.

Die haben dann auch uns alle zum Gletscher geflogen. Unten am Parkplatz waren es zwanzig Grad plus, oben auf dem Gletscher gefühlte 50 Grad minus.

Und da hat Udo Jürgens gespielt?

Ja, und da ziehe ich wirklich den Hut vor ihm. Eigentlich sollte von unten ein Livestream gesendet werden, irgendwo im Schnee war eine Monitorbox versteckt und er sollte dann zum Playback performen. Das hat aber technisch nicht funktioniert, das Signal kam nicht an. Da hat Udo gesagt: ›Ich mach’s ohne Playback‹, und hat einfach live auf dem Gletscher seinen Song präsentiert. Hinterher wurden die Bilder mit dem Playback verglichen und es passte perfekt. Er hat das Tempo genau getroffen.

Ich habe da oben beim Abbau, als der Hubschrauber gerade wieder unten war, einen Flughelfer gefragt: ›Was passiert eigentlich, wenn der Heli jetzt kaputtgeht?‹ Und der hat ganz trocken geantwortet: ›Dann erfrieren wir. Hier kommst du ohne alpines Gerät nie wieder runter.‹ Genau in dem Moment kam eine alpine Klettermannschaft, 10 Japaner, angeseilt und mit voller Ausrüstung, den Berg hoch und die konnten es nicht fassen, dass da auf 3.200 Metern bei minus 50 Grad ein Gasflügel steht mitten auf dem Gletscher. Natürlich haben die sehr viele Fotos gemacht.

Lernst du die Künstler*innen, die auf den Flügeln spielen, eigentlich auch immer kennen? Oder kommen die erst an, wenn der Flügel steht und du längst weg bist?

Ne, ich lerne viele auch privat kennen! Ich war bei Dieter Bohlen zuhause und habe mit dem über sein Instrument geschnackt, bei Michael Schanze war ich. Prince wollte einen Flügel ausprobieren, den habe ich ihm ins Hotel gebracht. Mit Lenny Kravitz habe ich über einen Glasflügel geschnackt am Anfang seiner Tour … Bei solchen Leuten mache ich das immer so, dass ich am ersten Tourtag dazukomme und den Backlinern zeige, wie man so einen Flügel aufbaut und dann können die das eigentlich ab da alleine. Ich hatte auch mal ein sehr gutes Gespräch mit DJ Ötzi. Ist nicht meine Musik, aber der Typ ist total nett. Auch beim Designer Luigi Colani war ich, der hat einen Schimmel-Flügel designt. Ein völlig abgespacetes Teil. Für Klassiker ist das nichts, aber Prince wollte den damals haben. Weil die das alle nicht gebacken gekriegt haben, den Flügel zu transportieren, habe ich irgendwann gesagt: ›Ok, ich mache das jetzt‹, habe einmal telefoniert und 10 Minuten später war ich unterwegs nach Köln, um ihm den Flügel zu bringen. Prince hat sich total gefreut und das Instrument 4 Tage später gekauft.

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Mit Colani war ich auch viel unterwegs, den ersten Prototypen seines Flügels habe ich aus Frankreich geholt, aus seinem Schloss, in dem er die Werkstatt hatte. Schimmel hat mich dahingeschickt und gesagt: ›Du musst da einen Flügel abholen, bei dem weiß kein Mensch, wie er aussieht. Wir haben dem Designer völlig freie Hand gelassen.‹ Da sind wir ganz blauäugig dahingefahren und haben es dann irgendwie geschafft, den Flügel mit seinen Mitarbeitern auf eine riesige Palette zu schrauben und nach Braunschweig zu transportieren. Wenn Colani auf seinen Ausstellungen den Flügel zeigen wollte, hat er mich auch immer mitgenommen, weltweit.

Bei klassischen Konzerten müssen die Flügel immer einen Tag vorher geliefert werden, damit sie sich vor Ort akklimatisieren können, das ist nochmal eine ganz andere Geschichte, da treffe ich die Künstler nicht. Ich habe aber auch schon Flügel für Lang Lang transportiert. Bei Klassikfestivals kommt es vor, dass ich auch dem ein oder anderen mal kurz hallo sage, aber frag mich jetzt nicht, wem.

Ist Nachhaltigkeit oder Klimafreundlichkeit auch ein Thema oder könnt ihr da eigentlich eh nicht viel ändern an euren Arbeitsabläufen?

Seit dem letzten Jahr schon. Mit Joja [Wendt], der immer seinen eigenen Flügel mitnimmt auf Tour und mich dazu für den Transport, spreche ich schon über solche Dinge: Ist das notwendig, für ein Konzert nach Singapur zu fliegen und am nächsten Tag wieder zurück? Sollte man das nicht besser anders organisieren oder einfach lassen? Bei seiner letzten China-Tour sind wir innerhalb des Landes nur mit dem Zug gefahren. Die sind da auch immer pünktlich, das ging sehr gut.

Welches Instrument spielst Du?

Ich bin eigentlich Heavy Metal Drummer. In den 70ern hatte ich zwei Jahre lang bei dem damaligen Schlagzeuger von den Scorpions Schlagzeugunterricht und habe mir da einen ordentlichen Bumms antrainiert. Ich habe jahrelang in der 70er-Jahre-Showband ›Sweety Glitter‹ gespielt, dann irgendwann noch mit klassischer Gitarre angefangen. Viele Pianisten, die uns beobachten, wie wir die Flügel transportieren, kommen zu mir und fragen: ›Sag mal, Christian, bist du Musiker?‹ Ich sag: ›Ja, woher weißt du das?‹ ›Weil nur Musiker so achtsam mit Instrumenten umgehen wie du.‹

War das mit Udo Jürgens auf dem Gletscher eine absolute Ausnahme in Sachen Adrenalin oder machst du Sachen in der Größenordnung öfter?

Michael Schanze hat mal in Spanien auf einem Plateau über dem Atlantik, das so drei mal fünf Meter groß war, auf einem Colani-Flügel gespielt. Dahinter ging es dann mehrere Hundert Meter steil ab ins Meer. Wir sind mit 10 Helfern und dem Flügel zu Fuß den Berg hochgekraxelt, also wirklich zum Teil über Felsen und so. Von den 10 Helfern sprach niemand Englisch und ich kein Spanisch. Als die den Flügel anheben wollten, kriegten sie ihn keinen Zentimeter hoch, weil der so schwer war. Erst haben die mir zu verstehen gegeben: unmöglich. Aber dann habe ich denen die Technik gezeigt und es ging los, fünf Stunden lang. Dann wurde gedreht, alles wunderbar, selbst das Wetter war. Es sollten auch noch Aufnahmen vom Hubschrauber aus gemacht werden, aber die Kamera dafür war kaputt. Da hieß es: ›Wir müssen erst die Kamera reparieren. Christian, wir verlegen den Dreh auf übermorgen.‹ Da habe ich gesagt: ›Runter und übermorgen wieder rauf? Das mache ich nicht.‹ Wir haben den Flügel in Decken eingepackt und ein Zelt drüber gebaut. Der Flügel wurde die ganze Zeit von spanischen Leuten gehütet. Es hat geregnet und gestürmt und immer musste jemand unter dem Flügel liegen – dort auch schlafen – und den bewachen. Und nach drei Tagen hieß es dann: Das Ersatzteil für die Kamera ist nicht aufzutreiben, es wird doch alles abgeblasen. Drei Monate später haben wir dann alles nochmal gemacht. Nochmal nach Spanien runtergefahren, nochmal den Flügel hochgeschleppt, nochmal gedreht. That’s it. Das war das Schlimmste, was ich je gemacht habe.

Instrumente für Prince und Lang Lang, per Hand und mit dem Heli, auf Gletschern und in Konzertsälen: Christian Ciecior transportiert seit über 30 Jahren Flügel. Ein Porträt in @vanmusik. 

Wie motivierst du dich für solche Aktionen?

Ich bin sehr mit dem Herzen dabei. Ich habe großen Respekt vor Leuten, die Klavier spielen. Der Pianist ist der einzige Musiker, der sein Instrument nicht selber mitbringen oder stimmen kann. Er braucht immer Hilfskräfte.

Ich spiele auch jeden Flügel, den ich aufbaue, an und höre in die Seele des Instruments. Ich hab schon so außergewöhnliche Instrumente gehört, die mir wirklich das Herz erwärmen. Ich hatte zum Beispiel immer von Fazioli gehört, aber nie einen in der Hand gehabt. In Braunschweig hab ich dann einen transportiert, den angespielt und gedacht: ›Wow. Was völlig anderes. Wenn Steinway der Mercedes ist, ist Fazioli der Bentley.‹ ¶

... machte in Köln eine Ausbildung zur Tontechnikerin und arbeitete unter anderem für WDR3 und die Sendung mit der Maus. Es folgten ein Schulmusik- und Geschichtsstudium in Berlin und Bukarest. Heute lehrt sie Musikwissenschaft an der Universität der Künste Berlin und ist Redakteurin bei VAN. merle@van-verlag.com