Nachwuchsmusiker/innen an der Schwelle zum Profizirkus
Bereits 2015 berichteten wir vom Bergen Festival. In diesem Jahr wollten wir den Fokus auf das Nachwuchsprogramm ›Crescendo‹ legen. Und riefen kurzerhand und passenderweise den VAN-Wettbewerb für Nachwuchsautor/innen aus. Unter diesen sicherte sich Christin Bolte die Reise nach Bergen. Hier ihr Bericht.
›Across Barriers‹ ist das diesjährige Thema des Bergen International Festival. Es geht um nichts Geringeres als darum, das Festivalkonzept herauszufordern, die Welt der Kunst zu spiegeln und gattungs- sowie publikumsbezogene Hindernisse zu überwinden. In der Umsetzung bedeutet dies erst einmal, ein breiteres Publikum anzusprechen. Zu der prominenten Klassik, zu etwas Jazz, Pop und Theater gesellt sich ein Unterhaltungsprogramm aus Musical, Cabaret, Zirkus und zeitgenössischem Tanz. Stargast ist in diesem Jahr der Komponist und Pianist Philip Glass, der als Filmemacher und Talkgast auftritt und ansonsten einer der wenigen Vertreter für neuere Musik im Programm ist.
›Across Barriers‹ ist selbstverständlich auch eine Anspielung auf die inzwischen immer stärker in den Norden rückende geopolitische Herausforderung der Vertreibung und Migration. Thematisch findet diese gegenwärtige Katastrophe Eingang in das Zirkus- und Theaterangebot der Spanischen Kompagnie Kamchàtka oder den Talk über Bewegungsfreiheit ohne Pass der lange illegal in Europa tourenden Band Che Sudaka.

Bis auf diese wenigen Ausnahmen ist das Publikumsfestival mit über vierhundert einzelnen Veranstaltungen eher ein fünfzehntägiger Marathon für in der westlichen Welt etablierten, hochkulturellen Darstellungskünste mit Fokus auf westliche Klassik. Der Anspruch, Kunst frei von Barrieren zu präsentieren und aktuelle Tendenzen zu spiegeln, mag auch daher etwas unzeitgemäß umgesetzt sein. Das Publikum erhält wenig Einblick in den künstlerischen State of the Art. Nun gibt es aber innerhalb der Festivalkonzeption andere Besonderheiten, die einmalig sind.

Barrieren existieren nämlich auch innerhalb jeder Fachdiziplin. Fragen der Infrastruktur oder der Lokalität sind es, die beruflichen Erfolg ermöglichen oder Hindernisse bilden können. In der Klassischen Musik ist nicht nur Zugang zu bester Ausbildung, sondern auch Zugang zu Informationen und Kontakten entscheidend. Nach den frühen Entwicklungsjahren mit einer Sieben-Tage-Woche am Instrument anstatt draußen auf der Wiese mit Freundinnen, sind die Aussichten auf eine weltweite Präsenz trotz Auszeichnungen und Preisen mit Fleiß und Ausdauer allein leider nur schwer zu erfüllen. Selbstmarketing, Bühnenpräsenz und die Gestaltung der individuellen Performance oder der Umgang mit ganz normalem Lampenfieber gehören in diesem Zusammenhang zu den besondere Herausforderungen. Wissenschaft und Wirtschaft begegnen diesen Karrierehemmnissen, besonders in Bezug auf Chancengerechtigkeit, inzwischen mit Mentoring.

Unter dem Titel ››Crescendo‹ hat das Bergen International Festival zusammen mit dem norwegischen Barratt Due Institut of Music, der Philharmonie Oslo und mithilfe von privater Förderung ein entwickelt, das den Weg für den Nachwuchs in der Klassik erleichtern soll.

In der diesjährigen Runde sind die niederländische Violinistin Janine Jansen und der norwegische Pianist Leif Ove Andsnes in der Rolle der erfahrenen Mentoren. Sie begleiten die ›Young Soloists‹ über die Dauer des Festivals, es sind die Violinistin Guro Kleven Hagen, der Cellist Kian Soltani und der Bratschist Eivind Holtsmark Ringstad. Sie befinden sich alle im Übergang vom Nachwuchs- zum Profileben. Der Hamburger Cellist Konstantin Heidrich ist Mentor für die Kategorie der Jüngeren, die ›Young Chamber Musicians‹.
Bevor der nächste Konzertabend beginnt, treffe ich die Mentee Guro Kleven Hagen. Sie steht kurz vor den Proben mit fliederfarbener Jacke, Wollstrumpfhose, abgewetzten Chucks und Geigentasche auf dem Rücken in einer schicken Hotellobby. Ich bekomme fünfzehn Minuten. Wir suchen uns ein einigermaßen gemütliches Sofa in diesem, von unseren Outfits ausgehend, gelackten Umfeld. Wir haben beide keine Lust auf ein starres Interview. Guros große graue Augen sind freundlich und klar wie das nordische Meer, und ich mag sie nicht distanziert befragen, werfe meine geplanten Fragen über Bord. Wir plaudern. Übers Pause machen, Wissen weitergeben, Freizeitgestaltung und körperliches Workout. Wir beide mögen es, im Studio HipHop zu tanzen. Guro Kleven Hagen mag auch in ihrer Freizeit gern jene Musik hören, die sie zu der Zeit gerade spielt, momentan viel Mozart und Schubert. Aber »geht es nicht immer darum, offen zu bleiben und fremde Dinge und Menschen nicht kategorisch auszuschließen?«, fragt sie mich. Für sie war es eine Ehre mit den beiden Mentoren, Janine Jansen und Leif Ove Andsnes zusammenzuarbeiten. Die Namen, die man seit der Kindheit kennt, können einem aber auch Respekt einflößen. Man müsse sich etwas stärker machen, als man sich zunächst fühlt. In ihrem Alter erfolgt der Übergang von jungen Talenten zu erwachsenen, etablierten Musiker/innen. Nach Bergen freut Guro sich darauf, ihre Freunde in Berlin zu besuchen und danach die Valdres Sommersinfonie, ein Festival und Sommerkurs für Kinder, in der Künstlerischen Leitung zu betreuen.

Am frühen Abend spielt auch das Nachwuchsquartett Opus13 im Logen Theater. Ich erkenne auf der Bühne die Person wieder, deren Proben täglich durch den Hotelflur tönt und die stets vor mir mit Geigentasche auf den Rücken und Stöpseln im Ohr in den Fahrstuhl huscht und ihn mir wegschnappt: Sonoko Miriam Shimano Welde (Geige). Der Rest von Opus13 sind Edvard Erdal (Geige), Michael Grolid (Bratsche) und Frida Tharaldsen Skaftun (Cello), die ihr Lieblingsinstrument frei nach Man Ray auf ihrem Körper verewigt hat, wie ich am nächsten Tag beim Schwimmen sehen werde.

Zu hören gibt es einen selbstgewählten Auszug aus den 21 Miniaturen des Georgiers Sulkhan Tsintsadze, eine angenehm zurückgenommen wirkende Version der Cavatina, dem fünften Satz von Beethovens Streicherquartett op. 130 und eine wirklich schöne, cellobetonende Interpretation von Brahms Streicherquartett No. 1 in c-Moll op. 51, bei der das zeitgenössisch anmutende Allegretto molto moderato e comodo das gewisse Etwas des jungen Quartetts wunderbar in Szene setzt.

Bergen. Welthauptstadt des Regens. Altstadt, buntlackierte Holzhäuser und ein pittoresker Hafen inmitten von sieben Bergen. Den Regenschirm einzupacken hat sich nicht gelohnt. Die Sonne scheint, als gäbe es kein Morgen. ¶
