Es ist warm, die Sonne scheint und der Urlaub steht vor der Tür. Spanien ruft, Frankreich klopft an und in Italien ist es sowieso immer schön. Doch weil der Sprit dieses Jahr nicht bis ins Geburtsland der Oper reicht, klappern wir beim VAN’schen Sommer-Roadtrip einfach die Häuser im eigenen Lande ab.

Um vorher schon zu wissen, was läuft, checken wir in den nächsten drei Wochen gemeinsam mit der Berliner Kommunikationsdesignerin von Binger Laucke Siebein die Gestaltung neun aktueller Theater- und Opernhaus-Magazine. Wir sind gespannt, ob die Layouts genau so heiß wie die Motor-Temperatur unseres luftgekühlten Bullis sind …

Des leichten Reisegepäcks wegen haben wir die Magazine virtuell auf dem iPad durchgeblättert – so wie ihr es auch tun könnt: Den jeweiligen Link liefern wir für jedes Exemplar mit.

In dieser Woche: Der »Wilde Süden« Nürnberg – München – Wien. Gute Fahrt!


Impuls
Staatstheater Nürnberg

Gestaltung Julia Elberskirch / Jenny Hobrecht (Staatstheater Nürnberg)
Gestaltung Julia Elberskirch / Jenny Hobrecht (Staatstheater Nürnberg)

Das ist nicht mein Fall (lacht). Auf dem Cover sieht man einen verschmitzt lächelnden Herrn, der sein Schwert auf uns richtet. Auf den ersten Blick sieht das nicht nach einer bahnbrechenden Inszenierung aus. Selbst dieses Bild hätte man noch zuspitzen können, indem man es praller und größer auf die Seite gebracht hätte. Offensichtlich gab es auch Probleme im Umgang mit dem Logo, das ich eigentlich ganz charmant finde. Der »Urknall-Knäul« im Hintergrund ist als Logo-Gedanke sehr spannend. Leider wird es etwas im Zaum gehalten und entfaltet nicht seine volle Kraft.

Die magentafarbene Linie im oberen Bereich des Covers habe ich direkt richtig interpretiert: Sie zieht sich in den lustigsten Schnörkeleien und Verknotungen durch das Heft. Die Idee dahinter ist gar nicht mal schlecht – sowas haben wir im Studium alle mal gemacht. Hier wird der »Rote Faden« so wörtlich genommen, dass es schon weh tut. Auf der einen Seite kringelt er den Zeigefinger eines Operndarstellers ein und auf der anderen Seite einen Luftballon. Das hätte man besser weggelassen. Dann wäre alles sauber gesetzt gewesen.

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Auch die Werbung stört enorm. Der Großteil stammt von lokalen Firmen, deren Gestaltung natürlich nicht an das Niveau einer gutgemachten ganzseitigen Geschichte rankommen kann.

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Auf der Seite »Applaus« wird der rote Faden plötzlich zum Schallüberträger – und zwei klatschende Hände sind auch noch zu sehen. Man darf keine wörtlichen Übersetzungen verwenden in der Gestaltung! Damit ist man in der Sackgasse.


MAX JOSEPH #4
Bayerische Staatsoper

Gestaltung Bureau Mirko Borsche
Gestaltung Bureau Mirko Borsche

Es wäre unredlich zu sagen, ich wüsste nicht, wer dahinter steckt … Das ist große Klasse und davor ziehe ich meinen Hut. Da stimmt einfach alles. Ein Laie kann vielleicht meine Begeisterung nicht ganz nachvollziehen. Das Cover bricht alle Regeln, die man für richtig hält. Großartig daran ist, dass die Gestaltung Humor hat. Gerade in Deutschland vergisst man das ganz schnell. Nicht alles muss logisch sein oder trockene Informationsübermittlung leisten. Mirko Borsche widerspricht und entspricht allen Regeln der Kunst – das ist das Raffinierte daran. Immer schön nah an der Grenze zum »NoGo«, aber insgesamt immer stimmig.

Über einige Doppelseiten hinweg werden auch im Innenteil die Revue-artigen Bilder des Titels gezeigt. Da wird der Humor schnell zur Ironie. Am Computer entworfene goldene Plastiklettern bilden den Einstieg ins Editorial – es steht einfach so da und die Sache ist deutlich.

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Lustigerweise findet sich auch hier wieder die Idee des roten Fadens: Jede Seite wird durch eine vertikale Linie getrennt – aber nicht so ermüdend wie in Nürnberg. Mal läuft der Text drüber, mal trennt die Linie Spalten oder Inhalte und mal wird die Seite daneben durch einen farbigen Hintergrund davon abgesetzt. So was kann man machen.

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Die Doppelseiten mit den abstrakten Fotografien sind großartig: Ein Frauenmund mit Goldglitter. Ich wage es gar nicht zu interpretieren, aber da steckt natürlich wahnsinnig viel drin. Das sind Überraschungselemente, die den Leser bei der Stange halten. Sehr spannend.

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Die reinen Textseiten sind schlicht im Blocksatz gesetzt, was immer eine gewisse Steifigkeit fördert. Durch Einschübe und dagegen strebende typografische Elemente funktioniert das alles aber sehr gut. So etwas hängt auch immer mit der Einstellung des Hauses zusammen oder dem Grad der Extreme der Inszenierung. Da geht manchmal mehr und manchmal weniger. Hier werden auch mal die klassisch eingeübten Hierarchien der Magazingestaltung verlassen: Normalerweise ist der Titel ganz groß, dann kommt etwas abgesetzt der Anleser, dann eher klein der Autor und dann der Text. Hier setzt man aber einfach den Titel in der gleichen Schriftgröße wie den Anleser. Wenn so etwas variiert wird, aber auch intuitiv funktioniert, ist das super.

Verschiedene Bildstrecken wurden extra in Auftrag gegeben. Das kann man sehen. Da wird nicht wie so oft der Künstler von drei Seiten gezeigt, sondern auch mal eine Taube, die beim Shooting zufällig aufgetaucht ist. So was macht die Gestaltung spannend.

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Fremdmaterial wie Illustrationen oder Komponisten-Bilder scheinen zwar historisches Material zu sein, sind aber super in einen neuen und gegenwärtigen Kontext gebracht. Auch Aufmacher-Seiten wie zum Beispiel die beiden Seiten mit dem Notenpapier – einmal leer und einmal gefüllt.

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Das Magazin will gar nicht enden … Insgesamt viel Arbeit und sehr gut gemacht!


Prolog Juni 2017
Wiener Staatsoper

Gestaltung Irene Neubert
Gestaltung Irene Neubert

Man erkennt auf den ersten Blick, dass wir in Wien gelandet sind: Leicht gelbliches Papier mit goldenem Logo und Emblem – eine hübsche Melange … Ich finde es eigentlich gut. Es ist sehr klassisch, tritt aber in kein Fettnäpfchen. Einzig das bläulich angeleuchtete Bild stellt kein klassisches Motiv dar.

Im Innenteil wird die Klasse des Covers leider nicht aufrecht erhalten. Schade. Es wird auch nicht wirklich entsprechend des Mediums gedacht. Warum man das Logo auf jeder Seite im Kolumnentitel zeigen muss, verstehe ich nicht. Corporate Design kann man auch mit anderen Mitteln ausdrücken. Hier wurde das relativ altmodisch umgesetzt.

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Auch in der übrigen Gestaltung ist alles austauschbar. An keiner Stelle geht man Wagnisse ein. Die Bilder könnte man durch beliebige Motive anderer Branchen austauschen und keiner würde es merken.

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Zusammengefasst würde ich mir mehr Mut wünschen. Wenn man schon das Image der »Stadt der Wiener Klassik« hat – mit all ihrer Substanz und Qualität – sollte man sich doch mal was anderes trauen. Im Vergleich zu allen Heften, die wir bisher besprochen haben, finde ich den Gestaltungsanspruch hier am geringsten – das ist am wenigsten zeitgemäß. ¶


Johanna Siebein

… ist Partnerin von Binger Laucke Siebein. Die Agentur steht für progressive und nonkonformistische Konzepte, für Kommunikation und Gestaltung: aufrichtig, mutig und intelligent. Binger Laucke Siebein, ehemals Studio Laucke Siebein, arbeitet international an den Standorten in Berlin und Amsterdam und ist auf kreative Strategien, unkonventionelle Konzepte, Markenentwicklung und dynamische Identitäten für Kultur- und Wirtschaftskunden spezialisiert. Dabei kombinieren sie einen strategisch konzeptionellen Ansatz mit qualitativ hochwertigem Design und betrachten Projekte sowohl aus werblicher als auch aus gestalterischer Sicht.


Zum ersten Teil:
Die »Ost-West-Achse« Berlin – Gelsenkirchen – Köln

... arbeitet als freier Art-Direktor und Grafik-Designer in Köln. Er kuratiert Ton, Text und Bild für verschiedene Labels und Projekte und gibt Workshops im Spannungsfeld von klassischer Typografie, experimentellem Design und interaktivem Sound. Bei VAN kümmert er sich um Pixel, Codes und Kreatives. alex@van-verlag.com