
Hoffnung und Erlösung, Arbeit und Struktur. Das RADIALSYSTEM V stellt Bachs Johannes-Passion und Haydns Die Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze neben Texte aus dem Blog des an einem unheilbaren Gehirntumor erkrankten Schriftstellers Wolfgang Herrndorf. Drei Abende zwischen Irrsinn und Normalität, Freundschaft und Verrat, Isolation und dem Leuchten des Lebens und der Welt.
Die heilsgeschichtliche Hoffnung auf Erlösung – »Durch dein Gefängnis, Gottes Sohn, muss uns die Freiheit kommen« – hat ihren Preis: Theologisch gibt es keinen Weg zum Heil ohne das Leiden Jesu. Das Vocalconsort Berlin interpretiert am 22. März die Johannes-Passion als ein klassisches, gesellschaftliches Drama, das auf andere Situationen übertragen so auch heute noch stattfinden könnte bzw. stattfindet. Ein Drama im Kleinen war auch die Cembalo-Debatte um verkrustete Strukturen in der Alten Musik in VAN. Elina Albach bezog hier klare Position: »Dann macht halt euren Sektempfang, aber dann können wir euch nicht so verzaubern, wie wir es gerne tun würden.« Am 22. März ist sie im RADIALSYSTEM V am Cembalo zu hören.
»Gib mir ein Jahr, Herrgott, an den ich nicht glaube, und ich werde fertig mit allem.« In seinem Blog »Arbeit und Struktur« legt Wolfgang Herrndorf, der sich 2013 in Folge einer schweren Erkrankung das Leben nahm, Zeugnis einer radikalen Schaffenskraft ab. Mit Birgit Minichmayr als Sprecherin treffen am 23. März Auszüge seines Werks auf Passionsmusik von Joseph Haydn, Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze, gespielt vom Ensemble Resonanz unter der Leitung von Riccardo Minasi, den Hartmut Welscher letzten Sommer in Hamburg traf.
Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion wird am 24. März zu einem eindringlichen und fesselnden Kammermusikabend verdichtet. Der isländische Tenor Benedikt Kristjánsson erzählt in intimem Rahmen die vollständige Leidensgeschichte Christi und nimmt dabei verschiedene Rollen ein. Elina Albach und der Schlagzeuger Philipp Lamprecht zeichnen mit einer neuen, farbenreichen Bearbeitung das Orchester nach, während die Choräle – von der originalen Aufführungspraxis inspiriert – gemeinsam mit dem Publikum gesungen werden. Diese roh, ungefiltert und intensiv klingende Version der berühmten Passion feiert an diesem Abend im Radialsystem Berlin ihre Premiere, bevor sie bei mehreren Festivals in Europa aufgeführt wird. In VAN fordert Cembalistin Elina Albach dazu passend: »Wir brauchen eine zeitgenössische und zeitgemäße Kultur der ›Alten Musik‹. Dies betrifft sämtliche Parameter der Musikausübung, der Terminologien und Definitionen, der Konzertformate, der Klangimmersion und Kommunikation, der Aufnahmeindustrie usw. Wenn wir an alledem arbeiten, damit experimentieren und darüber reflektieren, schlägt die ›Alte Musik‹ bald vielleicht wieder Fantasie-Funken.«
Keine Passion ohne Schmerz – Rückenschmerz, der viele Menschen befällt, wenn sie drei Stunden auf harten Kirchenbänken sitzen müssen. Oder gar drei Stunden stehen. Reinhard Mawick rekapituliert in VAN sieben Wochen Passionsmusik-Zeit und dreieinhalb Aufführungen der Matthäus-Passion. Man munkelt, dass es bald einen zweiten Teil zur Johannes-Passion geben wird, auf die das RADIALSYSTEM V in diesem Jahr mit den Aufführungen am 22. und 24. März den Fokus legt.