Von der ersten Coronawelle an wurden die Musiker:innen der Metropolitan Opera für ein Jahr in den unbezahlten Zwangsurlaub geschickt. Ein großer Teil der Mitglieder des Spitzenorchesters konnte sich das Leben in der Metropole nicht mehr leisten, Instrumentalunterricht ist in Pandemiezeiten kein verlässlicher Verdienst und das soziale Auffangnetz hat mehr Löcher als Maschen. Während in der MET die Türen noch verschlossen blieben, wurde ab Ende 2020 in Dallas wieder musiziert – und so lud sich das Dallas Symphony Orchestra 50 Orchestermitglieder aus New York ein, gemeinsam Mahlers Erste aufzuführen. Zwei Monate nach der Fernsehausstrahlung des Konzerts vermarktete das DSO die Aufnahme und andere Videoinhalte als sogenanntes Non-Fungible Token, kurz NFT. Diese Tokens sollten als finanzielle Unterstützung der gebeutelten Musiker:innen dienen.
Im letzten Jahr waren sie neben Seemannsliedern wohl das große neue Internet-Hype-Thema: Nicht weniger als eine »Revolution der Kunst« soll durch NFTs im Gange sein. Im Sommer überschlugen sich Nachrichten von Millionen, die für digitale Kunst hingeblättert werden, und in den letzten Monaten schien jede nennenswerte Institution von FC Bayern bis Unicef auf den so glitzernden Zug aufgesprungen zu sein. Doch wie sieht die Sache im Kontext der klassischen Musik aus? Eine Spurensuche zwischen anarchokapitalistischem Krypto-Futurismus, Reichwerden auf einem brennenden Planeten und der Frage, was und wer hier eigentlich wirklich eine Revolution erfährt.
Für Internetverhältnisse ist das Thema kein wirklich neues Phänomen. Erste NFTs wurden bereits 2012 erstellt, als so manche jetzige Kryptomillionärin wohl noch auf dem Grundschulpausenhof auf die Rendite von Paninistickern spekulierte. 2017 gingen heutige Erfolgsprojekte wie CryptoPunks und CryptoKitties an den Start, im Jahr darauf widmete das Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe NFTs eine Ausstellung, 2019 betrug der Gesamtwert der Tokens im Umlauf bereits rund 210 Millionen Dollar. Der große Hype im letzten Jahr wurde schließlich durch die Versteigerung des Werkes Everydays: The first 5000 Days des Digitalkünstlers Beeple beim renommierten Auktionshaus Christie’s entfacht. Die Collage ist teilweise nicht nur überraschend rassistisch und misogyn, sondern mit einem Auktionspreis von 69,3 Millionen Dollar aus dem Stand zum drittteursten Werk eines lebenden Künstlers aller Zeiten mutiert.
Ein Non-Fungible Token ist frei übersetzt ein fälschungssicheres Zertifikat, das die Eigentümerin oder den Eigentümer eines digitalen Objektes angibt. Gekauft wird also nicht das Kunstwerk selbst, sondern sozusagen nur der Eintrag auf dem kleinen Schildchen im Museum daneben. Viele Werke, auf die die Tokens verweisen, sind dabei alles andere als exklusiv, sondern liegen auf Seiten, wo sie von allen angesehen oder angehört werden können (prominentes Beispiel: der allerallererste Tweet, von Jack Dorsey für 2,9 Millionen Dollar verkauft). Die Zugänglichkeit und damit verbundene copy&paste-Reproduzierbarkeit können sogar aufmerksamkeitsspendender Garant für den Wert eines Werkes sein. Oftmals werden durch in dem Token verankerte Smart Contracts weitere Vereinbarungen wie Teilhabe an Streamingeinnahmen und – vor allem – ein Anteil an Weiterverkäufen eingeschrieben. Rechte an oder Befugnisse über die Datei an sich haben die Kaufenden dabei keine; nicht selten gibt es aber kleine Zusatz-Gadgets wie Noten, Konzertkarten oder Zugriff auf weitere, dann tatsächlich exklusive Inhalte. Dass jedes NFT der Natur der Sache entsprechend einzigartig ist, bedeutet also nicht, dass nur der Käufer Beeples Everydays öffnen und ansehen kann, sondern dass nur er der rechtmäßige Besitzer des für alle zugänglichen Bilds ist.
Der neuseeländische Komponist Matthew Thomas Soong möchte aktuell die Aufnahmen seiner 24 Winter Preludes für Klavier als einzelne NFTs verkaufen, gleichzeitig liegen diese bei Spotify, YouTube und Apple Music zur Verfügung, sogar die Noten können auf seiner Website kostenlos heruntergeladen werden. In den meisten Fällen kann auch nur so ein Wert für Besitzer:innen gewährleistet werden: Beim Kauf geht es noch mehr als bei analogen Statussymbolen um das Bedürfnis nach »bragging rights«: nur wenn der Rest der Welt meinen Besitz sehen kann, habe ich etwas, mit dem ich angeben kann (oder sanfter: auf das ich stolz sein kann). Soong scheint bisher übrigens noch keines seiner Stücke erfolgreich verkauft zu haben.
Die Authentizität der besitzanzeigenden Tokens wird durch die sogenannte Blockchain gewährleistet: eine kontinuierlich erweiterbare Kette von Datensätzen, die durch ein weltweites Netz von User:innen, die ihre Rechenleistung zur Verfügung stellen, ermöglicht wird. Das dezentrale Netz, in dem alle Daten bei allen User:innen gleichzeitig vorhanden sind, ist somit fälschungssicher – so wie die vereinbarte Probenzeit im Ensemble-Gruppenchat nicht von einer Person unauffällig nachwirkend geändert werden kann, bleiben Transaktionsdaten und Zeitpunkt eines NFT-Kaufs eindeutig. Blockchains sind vor allem als architektonische Struktur der Kryptowährungen wie zum Beispiel Bitcoin bekannt, das vielbeschworene Wundermittel dabei ist die Dezentralität: »normale« Währungen, Zertifikate und Märkte, wie auch der für Kunst, sind an zentrale Organe wie Staatenbünde, handelsregulierende Instanzen oder Auktionshäuser gebunden. Der radikal freie Kryptomarkt dient der Idee nach als anarchokapitalistische Gegen-, oder zumindest Neben-Realität.
Die Komponistin Cristina Spinei brachte im Mai mit Prelude das nach eigener Aussage erste Orchesterwerk für die Blockchain auf den Markt. Die Aufnahme des fünfminütigen Stücks durch das Gateway Chamber Orchestra unter Gregory Wolynec wurde zwanzig Mal als Paket von Audio, Video, Partitur und Einzelstimmenmaterial angeboten. Sie schreibt: »Prelude ist eines der ersten groß angelegten Klassik NFTs. Ich habe den Titel gewählt, weil ich das Projekt als eine Einleitung in ein besseres System ansehe, in dem Musiker:innen und Komponist:innen ihr Werk selbst kontrollieren.« Dirigent, Orchestermitglieder (und vermutlich auch die anderen an der Aufnahme beteiligten) erhalten nicht wie sonst üblich nur ihre Session-Vergütung und sind vom sonstigen Erfolg einer Aufnahme ausgeschlossen, sondern werden an den Käufen und möglichen Weiterverkäufen automatisch beteiligt. So etwas regelt der Smart Contract. Das bahnbrechende Potenzial soll hier in der Unabhängigkeit von Musiklabels und damit einhergehender Unmittelbarkeit in den Einnahmen liegen. Die wiederkehrenden Feindbilder in jedem Krypto-Narrativ sind eben die zentralisierten Instanzen, die die Künstler:innen unnötig Zeit und Geld kosten und im futuristischen Optimismus natürlich alle durch den Algorithmus ersetzt werden können. Das mag für große und etablierte Namen lukrativ sein, im Rahmen des neoliberalen Aufstiegsmärchen vielleicht aber auch einfach nur die nächste sehr einfache Antwort auf ein vielschichtiges Problem. Von den zwanzig Paketen von Prelude wurde seit dem Release eines verkauft, für umgerechnet fast 5.000 Dollar; ob das für einen nennenswerten Verdienst für die Orchestermitglieder reicht, lässt sich wohl ganz gut abschätzen.
Das Web der Anfangszeit lässt sich nostalgisch verklärend als dezentrale Vergesellschaftung digitaler Daten (zum Leidwesen vieler Urheberrechtsinhaber:innen) sehen, das Web 2.0 als zentralisierte Privatwirtschaft vor allem der Riesenkonzerne wie Google, Amazon oder Meta mit zähschleppender multilateraler Regulierung. Web 3.0 soll nun die nutzerbasierte, dezentrale Rettung sein und mit all seinen marktradikalen Kryptostrukuren sowohl Freiheit als auch Absicherung im Zerfall der bestehenden Währungssysteme bilden. Letzteres klingt dabei wie hamsternder Prepper-Sprech, ist aber ein Narrativ, dem man auf Kryptoseiten und Redditthreads beängstigend oft begegnet. Dabei ist das mit der tatsächlichen Unabhängigkeit des Kryptomarktes so eine Sache: Natürlich investieren die meisten nur, um auch wieder lukrativ zu verkaufen, wobei der Markt von extremen Schwankungen und Risiken bestimmt ist. Dass die Teilnahme stinknormaler Auktionshäuser wie Christie’s und Sotheby‘s am NFT-Markt oder El Salvadors Akzeptieren des Bitcoins als Währung für die Entwicklung solche Meilensteine darstellen, zeigt das Anbiedern und die Abhängigkeit.
Und ist das Dezentrale wirklich so praktisch? Die Kryptowelt ist voll mit Betrüger:innen, und wenn NFTs im Millionenwert gestohlen werden (ja, das passiert), kann es logischerweise keine Beschwerdeinstanz oder Kryptopolizei geben. Allein der Code und die dort verzeichneten Besitzer sind Gesetz – im anarchokapitalistischen Raum hört dich niemand schreien.
Das 21-minütige »programmable piece of music« Betty’s Notebook vom Vokalensemble Verdigris ist in mehrere einzelne, als NFT verkaufte Stücke aufgeteilt. Das Stück basiert auf den Notizen der 15-jährigen Betty Klenck, die angeblich 1937 auf einem Kurzwellenradio ein Notsignal der verschollenen Amelia Earhart empfing und notierte. Das Stück als Gesamtes besteht aus vier Stems, also Gruppen übereinandergelegter Spuren: 1. The Choir, das sechzehnköpfige Ensemble die Worte Earharts singend, 2. Betty’s Stimme, ein Sample eines späteren Interviews mit Klenck, 3. Betty’s Radio, Jazzsongs im Stile der Zeit, und 4. Betty’s Choir, eine Vertonung des Interviews, basierend auf den Tonhöhen einer Spektralanalyse. Von den Stems gibt es jeweils drei verschiedene Versionen, die sich in der Textur, Timbre und programmatischer Erzählung unterscheiden. Käufer:innen eines NFTs entscheiden aus den 48 Kombinationsmöglichkeiten die Zusammensetzung der einzelnen Versionen, die dann auf der Blockchain niedergeschrieben wird. Ein »echtes« umgebautes Holzradio aus den Dreißigern, sowie das digitale Museum async.art spielen den aktuellen Mix als adaptiven Mastertrack ab. Der Mastertrack wurde vom selben Investor erworben, wie Beeples Everydays: The first 5000 Days. Der musikalische Leiter des Ensembles Sam Brukhman zieht in einem einstündigen Talk, an dem auch Cristina Spinei und die Präsidentin des Dallas Symphony Orchestra teilnehmen, aus dem Verkauf vielversprechende Schlüsse: »Der Käufer hatte keine Erfahrung und kein Wissen von klassischer Musik, aber er erkannte den Wert darin. Wo Musiker:innen vorher darauf angewiesen waren, wie viele Menschen ein Album kaufen werden, können wir heute wie die bildenden Künstler:innen Einzelstücke und Originale verkaufen, aber auch Kopien.« Für Betty’sNotebook wurden insgesamt mehr als 375.000 Dollar gezahlt.
Der Frage nach dem Wert ist bei immaterieller Kunst noch schwieriger nachzugehen als auf dem konventionellen Kunstmarkt. Traditionell verwandelt erst der Markt den Gebrauchswert eines Kunstwerks, der im Objekt der ästhetischen Erfahrung liegt, in das Substrat seines Tauschwerts. Kauf und Verkauf sind dabei nicht nur vielversprechende Geldanlagen und Spielplätze der Spekulation, sondern generieren symbolisches Kapital für den Besitzer und die Künstlerin. So weit, so auch bei Krypto: Die erfolgreichsten NFT-Projekte, wie der Bored Ape Yacht Club oder die CryptoPunks sind durch einen Algorithmus automatisch generierte Sammelbilder, die dafür gemacht sind, von ihren Käufern als Profilbilder »ausgestellt« zu werden. Im Grunde ist damit die Suche nach einer digitalen Transposition des materiellen Geltungsbedürfnisses nach Statussymbolen abgeschlossen: Das Sportwagenfoto auf Instagram und »Von meinem iPhone gesendet« verweisen noch auf öde Dinghaftigkeiten, während der gelangweilte Affe nicht nur immateriellen Wohlstand, sondern auch das Bekenntnis zum neuen Zeitalter, zur »dezentralen Revolution« ausdrückt.

Dabei hängt das NFT-Geschäft noch umso mehr von den grausamen Spielregeln der Aufmerksamkeitsökonomie ab. Während es keine desaströsen Auswirkungen haben sollte, dass Mozarts Figaro-Manuskript bei einer Auktion in Paris keine Gebote bekam, ist die Wertentwicklung der NFTs eine Blase, die mit ständigem Pusten am Leben gehalten wird. Der Besitz ist hier vor allem spekulativer Natur, im Kauf und Verkauf halten und potenzieren sich die großen Werte. Das erklärt auch das geradezu sektenhafte Auftreten der Kryptojüngerschaft; ohne beständigen Zuwachs implodiert die Blase. Und diese ist, dank der Gewinnbeteiligung der Vorbesitzer:innen an Weiterverkäufen, oft ein typisches pyramid scheme feinster kapitalistischer Detailarbeit: Wer früh eingestiegen ist, und/oder ohnehin viel hat, profitiert am meisten durch Neueinsteiger:innen. Natürlich braucht es trotzdem auch die gesunde Prise tatsächlicher Aufstiegsgeschichten und Glücksgriffe mit plötzlichem Geldsegen, die das Flämmchen der neoliberalen Hoffnung im eifrigen Elon-Musk-Verehrer am Flackern hält. Der NFT-Markt ist im Grunde das Kinderspiel mit der heißen Kartoffel: Werde sie los, bevor die Musik ausgeht, oder du hast nicht nur das Spiel verloren, sondern auch einen großen Batzen Geld.
Sam Brukham vom Ensemble ensemble Verdigris, das Betty’s Notebook erschaffen hat, beriet auch das Dallas Symphony Orchestra bei dem eingangs genannten Projekt: »Das Hauptziel war es, das Ganze umzudeuten: Nicht nur als klassische Musik, sondern als Kunst. Und Kunst hat einen Wert, eine Seltenheit und verdient es dadurch gesehen und gekauft zu werden.« Von den 41 angebotenen NFTs verkaufte das Orchester seit Juli bisher 24. Wie viel Geld dadurch konkret eingenommen und den Musiker:innen der MET zur Verfügung gestellt werden konnte, ist nicht ganz ersichtlich.
Die institutionsfeindliche Gegenkultur des Kryptoraumes sollte von der klassischen Musik durchaus nicht vernachlässigt werden. Die Ablehnung eines künstlerischen Establishments könnte vor allem die öffentlich (mit-)getragenen Orchester treffen, sind diese doch kulturelles Aushängeschild des dämonisierten Erzfeindes der Libertären. Auch ist die Ästhetik des NFT-Marktes von ganz anderen Maßstäben der Werturteile geprägt: Der hingepfefferte Charme des wenigen Aufwands, den die algorithmusgenerierten Bored Apes oder CrpytoPunks versprühen, ist für die Bilder zu einem der vorherrschenden optischen Standards geworden, wie die oft minimalistischen Jingles vieler Audioproduzent:innen. Auf den ersten Blick scheint es fast, die Krypto-Ästhetik liefe entgegen den Moden der Außenwelt, doch dass die Kulturindustrie des Kapitalismus sich jeden Versuch des Subversiven sofort zu ihren Gunsten erfolgreich einverleibt, ist auch keine sonderlich neue Idee.
Nicht ohne Grund geht es bei aller Berichterstattung – wie auch in diesem Text – in den seltensten Fällen um die tatsächliche Beschaffenheit der einzelnen Werke, als um deren monetären Wert als spekulative Ware. Die Gegenkultur der NFTs wurde nicht von der Kulturindustrie annektiert, sondern von Anfang auf ihren Leib geschneidert, das zeigt sich auch in Sam Brukhams Aussagen: Das hehre Ziel, neues und junges Publikum zu erschließen und von der Bedeutung der Klassik-Sparte zu überzeugen, dient selbstverständlich nicht der Vermittlung, Ermöglichung von Bildungsprozessen oder fortschreitenden Evolution der Kunst, sondern der Steigerung eines mal mehr, mal weniger künstlichen Konstrukts von »Wert«. Und das geschieht, so es der radikale Markt fordert, um jeden noch so verheerenden Preis:
Der wichtigste Markt für NFTs läuft über die Blockchain Ethereum, zu der die Währung Ether (ETH) gehört. Konstitutiv für das Netzwerk ist ein sogenannter Proof-of-Work-Algorithmus, bei der die einzelnen Rechner durch enorme Rechenleistungen die Validität der Datensätze aufrechterhält (die User:innen wiederum werden für ihre aufgewendete Leistung entlohnt). Die nötige Rechenleistung macht dabei das dezentrale Netzwerk zum kaum zu überschätzenden Klimazerstörer: Der CO2-Fußabdruck eines einzelnen durchschnittlichen NFTs liegt Schätzungen zufolge bei 211 kg, was einem Flug vom Berliner VAN-Hauptquartier nach Warschau und zurück entspricht. Jeder weitere Verkauf, jedes weitere Gebot, jede Übertragung der Eigentümerschaft erhöht diesen Wert signifikant. Ethereum verbraucht jährlich mehr Strom als die Philippinen oder Belgien, eine einzelne ETH-Transaktion entspricht mit 220,5 Kilowattstunden dem Durchschnittsverbrauch eines Deutschen in zwei Monaten. Ethereum hat Anfang 2020 angekündigt, spätestens dieses Jahr auf das klimafreundlichere Proof-of-Stake-Verfahren mit einer angeblichen Emissionseinsparung von 98% umzusteigen, doch in allzu naher Zukunft wird das wohl nicht geschehen.

Alternative Blockchainprojekte (und Währungen) wie beispielsweise Cardano oder Solana gelten schon heute als recht klimafreundlich und haben einen eigenen NFT-Markt, der aber bei weitem (noch?) nicht mit dem Umfang dessen von Ethereum mithalten kann. Wer als Künstler:in heute auf den lukrativen Markt der Ethereum-NFTs setzt, hat die Chance, mit Kunst einen so deutlichen, unmittelbaren und bleibenden Impact in der Welt zu hinterlassen, wie wohl nie zuvor. Revolutionär!
Doch der NFT-Hype seit dem vergangenen Jahr markiert auch die traurige Realität, in der sich Musikschaffende seit langem, zusätzlich befeuert durch den pandemischen Krisenkatalysator wiederfinden: Wo Musikverkäufe kein Geld mehr einbringen, wo die marktdiktierende Streamingmacht das bisherige Konsumverhalten der Hörer:innen weg von Kaufen und wenn-dann-bewusst-illegalen Download hin zum bedenkenlosen Genuss im guten Gewissen des Aboprinzips umstürzte, der die Künstler:innen mit Bruchteilen von Centbeträgen belohnt, und natürlich, wo die Ticketverkäufe als letztem Anker des reißenden Abwärtsflusses ausbleiben – kann man es kaum jemandem krumm nehmen, hoffnungsvoll auf das vielversprechend klingende System zu setzen. Dieses neu ausgeprägte Bedürfnis der Konsument:innen nach immateriellem Besitz und die Bereitschaft, viel dafür zu zahlen kann wirklich ein Lichtblick sein, und nachhaltig fruchtbare Strukturen zwischen Künstler:innen und Publikum etablieren. Die Frage ist nur, ob NFTs, die uns diese Entwicklung erahnen lassen, dafür das passende Medium sind.
Betty’s Notes ist nicht nur in seinem Verkaufswert ein beachtliches Beispiel, sondern eines der sehr wenigen, die es verstehen, das Konzept NFT als für das Werk konstitutiv zu nutzen (ein ähnliches Beispiel für programmable music ist das Projekt Mozart Beats). Der simple Verkauf von Aufnahmen kann natürlich funktionieren, wenn Nachfrage herrscht, doch solange die Werke aus dem formalen Rahmen getrennt werden können, drohen ihnen Bedeutungsverlust und Austauschbarkeit. Krypto-Prophet:innen werben mit vermeintlich innovativen Ideen wie der Kopplung von Tickets an Albumkäufe, Crowdfundingmodelle oder Privatsponsoring à la Patreon, doch sind das alles längst etablierte und funktionierende Konzepte, für die ein Umzug auf die Blockchain keinen ersichtlichen Mehrwert bietet. Und das gilt wohl für die meisten der umjubelten futurischen Projekte: So wie Elon Musks innovativ-bahnbrechendes Verkehrskonzept Loop beim genaueren Hinsehen nur eine sehr, sehr, sehr schlechte U-Bahn aus Autos ist, sind die meisten angepriesen innovativen Potentiale der NFTs nur Transpositionen längst existierender Vermarktungsmodelle auf die komplizierte dezentrale Struktur mit all ihren Problemen und Gefahren. Die proklamierte »Revolution« ist (bisher) keine der Kunst, sondern allerhöchstens des Kunstmarktes. Der Umsturz vollzieht sich aber weniger an der Beschaffenheit dessen – Wertbildung, Auktionsmodelle und Spekulantentum, oder auch Geldwäsche sind ja erhalten geblieben – als in den radikalen Verhältnissen in einer libertären Ideologie, wie sie in bisherigen Handelsräumen kaum denkbar waren. ¶