Die Begrenzung der Leinwand und ihre Öffnung. William Youn zwischen Mitmusiker_innen, Hammerklavier und Flügel.

Die SWR Schwetzinger Festspiele betreten in diesem Jahr vom 26. April bis 25. Mai Neuland, unter anderem mit den Residenz-Künstlern Andreas Ottensamer, Jean-Guihen Queyras und Georg Nussbaumer. Die Reise beginnt mit Elena Mendozas und Matthias Rebstocks drittem gemeinsamen Musiktheaterwerk Der Fall Babel (Uraufführung am 26. April), das den Mythos von der babylonischen Sprachverwirrung gewissermaßen vom Kopf auf die Füße stellt und ein Plädoyer für Toleranz und Vielfalt hält. Dem folgend teilen einen Monat lang eine Vielzahl von Künstler*innen in Schwetzingen ihre Neuentdeckungen. Wir stellen hier vier von ihnen vor.
Neulich hörte ich im Berliner Boulez-Saal ein Konzert bestehend aus Solo- und Duo-Stücken von Mozart und Schubert, Unsuk Chin, Nadia Boulanger und Brahms mit Nils Mönkemeyer und einem zwischen Hammerklavier und modernem Konzertflügel wechselndem William Youn. Aufgewachsen in Südkorea, mit 13 Jahren Umzug nach Boston, eine auf Musik spezialisierte Schule, dann Studium in Hannover. Mittlerweile lebt Youn in München, ich traf ihn zum Gespräch in Berlin.
Zu deinen Lehrern gehören unter anderem Dmitri Alexandrowitsch Baschkirow, Menahem Pressler und Andreas Staier. Das deckt ja in Repertoire und Klangvorstellungen fast das ganze Feld des Klavierspiels ab: Mit Baschkirov virtuose russische Musik, die klassisch-romantische Tradition mit Pressler und die historische Aufführungspraxis mit Staier. Wie hast Du diese stilistisch extrem verschiedenen Einflüsse erlebt?
Es war natürlich spannend, mit Baschkirov an Rachmaninows 3. Klavierkonzert zu arbeiten. Aber er entspricht gar nicht dem Klischee der russischen Schule und ist eigentlich ein Klassizist. Als ich ihm eine Skrjabin-Sonate vorspielte, sagte er: Wo ist denn das Metrum? Du musst das im Tempo spielen. Pressler ist ein Ästhet, der mich ermutigt hat, die schönen Stellen noch schöner zu spielen. Bei Staier lernt man, dass man alles ganz anders machen kann, als man es gewöhnt ist.
Aber du würdest dich selbst nicht einer bestimmten Schule zuordnen oder dich auf ein bestimmtes Repertoire spezialisieren?
Nein. Bei meinen CD-Projekten will ich natürlich nur Stücke spielen, bei denen ich das Gefühl habe, dass ich sie gut spielen kann, weil ich mich genug mit ihnen beschäftigt habe. Aber sonst habe ich den Eindruck, dass es für eine Spezialisierung zu früh ist.
Wie bist du dazu gekommen, auch auf dem Hammerklavier zu spielen?
Ich habe in Hannover studiert. Da musste man ein Semester Unterricht nehmen auf einem Hammerklavier. Mein Lehrer hat mir gesagt, dass das bei mir sehr natürlich klingt. Als ich mit den Mozart-Sonaten angefangen habe, hat mich die Beschäftigung mit dem Hammerklavier sehr interessiert. Es entsteht eine ganz natürliche Art zu phrasieren. Man hat sozusagen eine kleinere Leinwand und spielt automatisch zeitlich viel freier. Was man auf einem modernen Flügel mit Farben, Pedal oder Lautstärke herstellt, erreicht man auf dem Hammerklavier mit der Gestaltung des Tempos.
Trotzdem hast du die Mozart-Sonaten auf einem modernen Instrument eingespielt.
Ich fand es gerade wichtig, das auf einem modernen Flügel zu interpretieren. Es ist wichtig zu zeigen, dass das auch geht. Weil es mich schon sehr genervt hat, dass man es entweder wie die alten Meister sehr romantisch spielt. Oder dass es so trocken klingt wie manchmal bei den Alte-Musik-Experten.
Beim Festival in Mecklenburg-Vorpommern wirst du die Mondscheinsonate zweimal hintereinander, erst auf dem Hammerklavier und dann auf dem Flügel, spielen.
Ich finde ganz toll, dass man auf dem Hammerklavier schmutziger und perkussiver spielen kann. Zum Beispiel das Staccato am Anfang vom dritten Satz. Es gibt ja auch die Theorie, dass man im ganzen ersten Satz das Pedal nicht aufheben soll.
András Schiff spielt das so.
Auf dem Hammerklavier geht das viel besser, weil der Ton nicht so lange nachklingt. Ich verstehe, was Beethoven damit wollte. Aber auf einem modernen Flügel funktioniert das für mich nicht.
Du würdest trotzdem ein bestimmtes Repertoire nicht nur auf historischen Instrumenten aufführen?
Nein, ich habe mich bisher auch nicht getraut, ein ganzes Konzert auf dem Hammerklavier zu spielen. Die späten Schubert-Sonaten klingen für mich zum Beispiel auf einem Flügel schöner.
Du spielst ja nicht nur sehr viel verschiedenes Repertoire, sondern trittst auch in Solo-Abenden, als Solist mit Orchester und als Kammermusiker auf. Wobei fühlst du dich am wohlsten?
Ich finde es am Schwierigsten, mit einem Orchester zu spielen. Es geht dabei immer um Kompromisse. Du hast zwei Proben und trittst oft in einem Saal auf, in dem Du immer laut spielen musst. Das Orchester hört mich nicht immer, ich höre das Orchester nicht immer. Wenn es gut läuft, sind Klavier-Recitals das Schönste. Weil man so frei ist. Aber natürlich ist da der Druck sehr groß. Und ich liebe Kammermusik. Vielen Pianisten liegt das nicht so. Es gibt dabei ein Geheimnis: Man muss nur zuhören können, dann ist es ganz einfach. Ich finde, Klavier ist eigentlich ein neutrales Instrument, wir müssen immer Klänge und Farben nachmachen. Deshalb finde ich es ganz toll, mit anderen Instrumenten zu spielen.
Du trittst oft mit denselben Musikern auf, wie mit Nils Mönkemeyer oder Sabine Meyer.
Ich merke, dass ich nicht mit jemandem spielen kann, den ich nicht mag. In Konzerten mit engen Freunden wie Sabine Meyer kann ich mich mehr trauen. Jetzt habe ich ein neues Trio-Projekt mit Veronika Eberle und Julian Steckel.
Welche Rolle spielt zeitgenössische Musik für dich?
Ich mache das immer mehr. Neue Musik ist für Live-Erlebnisse besonders geeignet. Ich finde es auch ganz wichtig, dass man die Komponisten kennt. Ich bin sehr eng befreundet mit der Komponistin Konstantia Gourzi, die auch in München lebt. Gerade schreibt sie ein Stück für mich, das ich in mein Recital einbauen möchte.
Findest du es schwierig, dich bestimmten Einordnungen, den berühmten Schubladen zu entziehen?
Als Künstler wird man natürlich immer schnell kategorisiert. Man schreibt zum Beispiel oft, ich sei so ein Poet. Aber ich finde eigentlich nicht, dass mir nur das Lyrische liegt. Ich denke lieber nicht so viel über diese Sachen nach.
Du hast eine ziemlich eindrucksvolle Diskographie. Sind CDS für dich wichtig?
Ich finde, dass CDs die Klassik auch ein bisschen kaputt gemacht haben, weil man sich zu sehr auf technische Perfektion konzentriert. Mir hat mal jemand nach einem Konzert gesagt, dass ich ein Stück auf der CD ganz anders gespielt habe. Aber das ist doch richtig so. Ich sehe das so: Ich muss Programme einspielen als Vorbereitung für die Interpretation im Konzert.
Fühlst du dich frei in dem, was du als Musiker machen kannst? Oder gibt es doch Einschränkungen zum Beispiel durch die aktuell angesagten Formen des Marketings?
Der Klassikbetrieb spiegelt natürlich unsere Zeit. Auch durch die Social Media gibt es den Druck, dass alles ganz leicht sein soll. Jeden Tag soll man schreiben, wie sehr man sich auf etwas freut. Aber manchmal freue ich mich überhaupt nicht. Eigentlich sind Soziale Medien ja dafür da, dass wir miteinander kommunizieren. Inzwischen nutzt man sie aber oft, um sich zu verstecken. Das nervt mich ein bisschen. Es gibt zum Beispiel nichts Unangenehmeres, als wenn etwas im Studio nicht klappt. Ich finde, dass man auch darüber sprechen können muss. ¶