Datum 4.3.2020

Das 10. Kölner Fest für Alte Musik begibt sich unter dem Motto Early Music: Reload auf die Suche nach ungewöhnlichen Konzertformaten und öffnet sich neuen Impulsen. Dazu verwandelt sich das vom zamus veranstaltete Festival unter der künstlerischen Leitung von Ira Givol in ein Labor des Komponierens, Experimentierens, Improvisierens und Diskutierens über alle Belange der Alten Musik. Werke renommierter Komponist*innen der Alten Musik treffen vom 21.–29. März im Rahmen von 25 Veranstaltungen in der gesamten Kölner Innenstadt auf brandneue Auftragskompositionen. Wir stellen in diesem Themenspecial Protagonist*innen, Gedanken und Herausforderungen der Szene vor.

Warum spielen Orchester immer wieder dasselbe?, fragten wir in der US-Ausgabe von VAN. Horizonterweiterungen in vielfacher Hinsicht fordert auch Early Music: Reload. Und setzt sie um. Am 25. März fragt das Kölner Orchēstra Kairos: Welche Musik identifizieren wir als alt oder neu, und wie kann man Regeln und Vorurteile unterlaufen, mit ihnen kreativ umgehen, sie umdeuten? Werke der renommiertesten Komponisten der Alten Musik treffen auf neue Auftragskompositionen. Doch was ist das Original – also echte Barockmusik und was die Fälschung? Ebenfalls am 25. März kreieren das Ensemble B.O.X (Baroque Orchestration X) und die Indieband Dez Mona, beide aus Belgien, mit Sága – inspiriert von der nordischen Göttin der Sagen und Geschichten – eine musikalische und poetische Mischung aus Barock, Pop und Indie. Am Folgetag (26. März) verbindet sYn.de abendländische Alte Musik mit Eigenkompositionen, Volksmusiktraditionen, imaginärer Folklore, indischer Silbensprache, Ostinato-Improvisationen… Ein Klangkosmos, der als musikalisches Abbild der Welt zur Visitenkarte ihrer kulturellen Vielfalt gerät. Am 28. März treffen dann John Cages Song Books auf mittelalterliche Lieder der Zisterzienserinnen.

In Volker Hagedorns Bestandsaufnahme der freien Musikszene sagt der Barockoboist Markus Müller, der kürzlich den Landesverband VAM (Vereinigung Alte Musik) Sachsen mitbegründet hat: »So gut wie die gesamte Szene ist von Altersarmut betroffen. Eine auskömmliche Rente ist bei diesen Honoraren nicht realisierbar.« Raum für weitere Fragen, Herausforderungen und Lösungsstrategien rund um die Alte Musik bietet das Symposium THE END OF EARLY MUSIC? am 27. März. Wichtige Themen des eintägigen Symposiums sind die Normen und (ungeschriebenen) Gesetze der Interpretation klassischer Musik und wie man ihnen entfliehen kann, die Frage nach einer neuen Alten Musik im 21. Jahrhundert oder so praxisorientierte Belange wie die Reform des Urheberrechts und dessen Auswirkungen auf das (Alte-) Musikleben. Referenten sind renommierte Musikwissenschaftler*innen und Musiker*innen wie Benjamin Bagby (Sänger, Harfenist und Komponist, lehrt an der Pariser Sorbonne), Daniel Leech-Wilkinson (Emeritus, King‘s College London), Peter Van Heyghen (Professor in Brüssel, Den Haag und Amsterdam), Elam Rotem (Cembalist, Sänger und Komponist) und Lola Soulier (Oboistin und Musikologin). Der Eintritt ist frei.

Die beiden Brüsseler Ensembles Vlaams Radiokoor und Il Gardellino kreieren am 27. März in Via Crucis eine Begegnung von Alter und Neuer Musik und transferieren so das Programm in die Gegenwart. Die drei Komponistinnen – Caroline Shaw, Anna Thorvaldsdottir und Patricia van Ness – verfassen in ihren Auftragswerken zeitgenössische Repliken auf Dietrich Buxtehudes Passions-Kantaten Membra Jesu Nostri. Mit Thorvaldsdottir haben wir für die US-Ausgabe von VAN gesprochen.

Natürlich gibt es auch im Bewährten Neues zu entdecken. Zum Beispiel bei Bach. Der ist bei Early Music: Reload immer wieder zu hören, zum Beispiel beim EARLY MUSIC: RELOAD MARATHON am 21. März, dem Internationalen Tag der Alten Musik (der übrigens auch Bachs 335. Geburtstag ist). Beides wird in 12 Kurzkonzerten an 5 Spielorten gefeiert.

Auch beim letzten großen Konzert des 10. Kölner Fest für Alte Musik am 28. März gibt’s Bach: Das zamus lädt gemeinsam mit dem Kölner Ensemble Harmonie Universelle das Publikum ein, an einem ganz speziellen Wettstreit teilzunehmen – zu einer Art Blindverkostung mit Abstimmung. Denn im Jahr 1723 befanden sich u.a. die Komponisten Telemann, Graupner und Bach auf der Vorschlagsliste für die Stelle des Kapellmeisters in Leipzig. Damals jedoch war der heutzutage berühmteste Komponist Johann Sebastian Bach (noch) nicht die erste Wahl. Und wie würde das Publikum heute entscheiden?

Für VAN haben wir uns die sehr persönliche Auseinandersetzung des Autors Philip Kennicott mit Johann Sebastian Bach genauer angeschaut.