Eine Spielzeitheft-Analyse in vier Akten, Teil 3: BRSO vs. DSO vs. SWR

Text und Fotos · Datum 7.6.2017

Von den Dächern schreien sie »Print is Dead!«, doch so lange im Keller die Druckmaschinen rattern und der VAN-Briefkasten einmal im Jahr voller großer und dicker Umschläge fast überquillt, sollen sie doch schreien, was sie wollen …Es ist »Spielzeitheft-Saison«, und gemeinsam mit dem Kölner Designer schauen wir uns in den nächsten vier Wochen insgesamt neun Hefte von Opern-, Theater- und Konzerthäusern sowie Orchestern an. Wir sind gespannt, ob die Farbe überall an der richtigen Stelle auf dem Papier ist. Nach dem Lokalderby Köln gegen Düsseldorf in Folge 1 und dem Alpenderby München gegen Zürich in Folge 2 steht heute das Orchester-Triell auf dem Programm: BRSO gegen DSO gegen SWR.

SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS, München

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Der Titel ist ungewöhnlich. So etwas erwarte ich erstmal nicht. Die dargestellte Grafik kann im weitesten Sinne eine Visualisierung von Ton im dreidimensionalen Raum sein. Durch die Blindprägung sticht sie noch einmal deutlicher hervor. Die Typografie ist sehr eigenwillig in das perspektivische Raster dieser Raumanmutung gesetzt und verschwimmt dadurch stark mit dem Motiv. Man muss sich etwas anstrengen, um die Informationen rauslesen zu können. Das kann zwar ein Hindernis sein – ich finde das aber eher reizvoll, weil es meinen Erwartungen nicht entspricht. Auf jeden Fall macht es neugierig auf den Innenteil. Ein Titel wie dieser ist schon eine Ansage – wie ein Boris-Becker-Aufschlag. Da will man wissen, ob der Return mithalten kann.

Jetzt twittern: BRSO vs. DSO vs. SWR in der VAN-Stilkritik der Orchesterprogramme.

(Blättert auf und lacht) Ganz schlimm: QR-Codes sind ziemlich von gestern und hauen jede Gestaltung irgendwie um. Da blättere ich schnell weiter und vergesse das. Die Textgestaltung auf der nächsten Seite gefällt mir ähnlich gut wie der Titel. Statt Fotos werden schwarze Flächen eingesetzt. Das bringt etwas Unvermitteltes rein und setzt die Irritation durch den Titel fort. Nur: Was beim Durchblättern anfänglich gefiel, wird ab der dritten oder vierten Seite etwas zuviel. Da nimmt die Kraft ab.

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Die Textseiten werden von ganzseitigen Bildformaten unterbrochen, die nicht bis zum Rand gedruckt sind, sondern einen Passepartout-Rahmen haben. Das lässt das Heft weniger als Magazin und mehr als Foto-Buch wirken. Insgesamt eine gute Art, weil die Fotos so einen sehr erzählenden Charakter bekommen. Die dadurch vermittelte Atmosphäre ist klassisch. Das funktioniert aber nicht mit einem Titel, der an Techno oder elektronische Musik erinnert, wenn man dann im Innenteil mit einem Selbstbild konfrontiert ist, das den geweckten Erwartungen widerspricht. Da helfen auch die schwarzen Flächen nicht weiter.

Ich bin mir auch nicht sicher, ob es sinnvoll ist, im späteren Verlauf des Heftes eine Erklärung des Titels zu bringen. Das nimmt dem ganzen doch etwas die Magie und den Reiz. Insgesamt fast eine Mogelpackung. Fazit: Erstmal gut – im Abgang ein wenig wässrig.

DEUTSCHES SYMPHONIE-ORCHESTER, Berlin

Hier finden wir auf dem Titel das, was viele machen: Das in den Vordergrund stellen eines prominenten Namens. Robin Ticciatis Pose und sein sehr schmunzelnder Augenaufschlag finde ich sehr sympathisch. Ein ansprechendes Bild, das nichts mit der klassischen »Musiker-Darstellungs-Optik« zu tun hat. Auf der anderen Seite erzählt es zunächst nicht viel über Musik und man braucht deshalb die Information, dass es sich um die DSO-Spielzeitbroschüre handelt.

Beim Aufschlagen gefällt mir gleich die . Das gibt dem Ganzen eine besondere Wertigkeit. Der Umgang mit dem etwas eigenartigen und abstrakten Bild auf der Innenseite der Broschur und der Übergang in das Leinenbändchen sind ein guter Auftakt. Vor allem auch wegen der reduzierten Textseite daneben.

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Die gewählten Motive im Innenteil interpretieren Fotografie sehr abstrakt. Es geht nicht um das Abgebildete, sondern um die Formen, Flächenwirkungen und Farben. Das ist eine Modernität, die man für ein (klassisches) Orchester gar nicht so erwartet. Aber auch bekannte Motive finden Verwendung: Der auf der Bank sitzende Musiker schaut gedankenverloren zur Seite. Durch die zwischengestreuten und teilweise abstrakten Bilder – zum Beispiel die Pflanze oder Ticciatis Ohr – wird das aber ganz gut aufgewogen. Man erkennt eine Handschrift und ein Konzept dahinter. Da hat sich jemand vor dem Gestalten Gedanken gemacht, was transportiert und gezeigt werden soll.

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Etwas problematisch finde ich die gestürzte Schrift an der Seite, die als Register dient. Das bringt eine Unruhe rein, die man gar nicht braucht. Das ist weder besonders frech noch bringt es einen anderen Zugewinn. Dort, wo es zu einem farbigen Balken wird, wirkt es sogar eher plump. Im Programmteil habe ich das Gefühl, dass man ein wenig den Glauben an die eigene typografische Wahl verloren hat: Plötzlich kommt eine fette Schrift rein, die gar nicht notwendig wäre. Das würde genau so gut mit der feinen Schrift funktionieren.

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Der dritte Teil des Heftes erinnert stark an den ersten: Mit eigenwilligen Fotos, die auf Textseiten treffen. Dafür, dass manche Motive im Innenteil vor Kraft und einer gewissen Leichtigkeit strotzen – selbst wenn sie eine große Dunkelheit transportieren – wurde der Titel schlecht gewählt. Das Motiv sieht irgendwie nachbearbeitet aus, als würde ein Filter über allem liegen. Das ist im Innenteil einfach besser gelöst.

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Insgesamt hat das Heft einen sehr gelungenen Auftakt mit einer gewissen Souveränität. Teilweise kann das im Innenteil gehalten werden, teilweise aber auch nicht. Schön ist auch die rote Rückseite – das knallt!

SWR Symphonieorchester, Stuttgart

Ein Titel ohne Motiv – dafür mit Blindprägung. Leider hat man das Gefühl, dass der Grafiker seiner Prägung etwas misstraut hat und deshalb noch mal die Jahreszahlen als »Bildunterschrift« daneben geschrieben hat. Entweder macht man so was und zieht es dann durch, oder man lässt es ganz und verzichtet auf diese Form der grafischen Gestaltung. Auf dem Cover wurden auch zig Schriften verwendet, obwohl kaum etwas draufsteht: Zum Beispiel ist »Classic« viel breiter gesperrt als »SWR Symphonieorchester«. Dann hat man eine fette Schrift hier und eine normale Schrift da – dieses Durcheinander gefällt mir überhaupt nicht. Ich bin durchaus ein Freund von Reduziertheit, aber hier ist das nicht gut gelöst. Zudem mag ich auch diese Schrift leider gar nicht. (lacht)

Im Innenteil wirkt das Heft extrem klassisch. Man hat sich für eine Klappenbroschur entschieden, die innen Bronze eingefärbt ist. Das verleiht einen edlen Charakter und funktioniert ganz gut im Zusammenspiel mit dem reinen Weiß. Die Auszeichnungsschrift und grafische Elemente wie Linien werden ebenfalls in der Bronze-Sonderfarbe gezeigt.

Ansonsten ist es eher von der langweiligen Fraktion: Es springt einen in keinem Aspekt an. Die Headlines in Versalien sind leblos, und wenn man sich schon für ein einfaches Layout entscheidet, dann bitte so, dass man es gerne liest.

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Auch das Bildkonzept ist nicht sehr spannend. Der Einstieg mit den Bildern erinnert stark an dramaturgische Beihefte, die Stücke irgendwie prägen beziehungsweise in die Jetztzeit transportieren können. Hier hat man allerdings den Eindruck, dass die gezeigten Kunstwerk oder dokumentarischen Fotos sehr dekorativ verwendet wurden. Das ist mehr Gestaltung als Inhalt und sorgt dafür, dass die angestrebte dramaturgische Qualität nicht erzielt werden kann.

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Die Bildauswahl scheint ein Gemischtwarenladen zu sein, hinter dem kein besonderes Konzept steht. Es kann durchaus vorkommen, dass man mit vorgegebenem Bildmaterial arbeiten muss, weil nicht extra ein Fotograf losgeschickt werden kann. Dann muss man sich als Gestalter aber die Mühe machen, ein Konzept zu entwickeln, das alles in einen Guss bringt. Hier hätte man  zum Beispiel die Portraits mit der bronzenen Sonderfarbe einfärben können. So hätte man auch einen deutlichen Gegenpol zu den illustrativen Bildern geschaffen. Das ist hier nicht gelungen. Ein guter Lithograf hätte die Bilder zumindest von der Farbwirkung noch ein wenig angleichen können.

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Die Bilder vom Ensemble hingegen sind sehr lebendig. Warum platziert man diese auf Multibild-Seiten? Klar, die Orchestermusiker sind nicht so wichtig wie die großen Namen, aber eigentlich sind sie doch der Träger und füllen alles mit Leben. Warum gibt man ihnen nicht mehr Raum und lässt sie sprechen? Da sind auf jeden Fall die besseren Fotos dabei.

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Auch die Rückseite finde ich nicht besonders charmant. Der Hinweis, dass man die Webseite beziehungsweise den Livestream auf allen Devices anschauen kann, ist doch ein wenig missglückt. ¶

Foto Uta Wagner

Foto Uta Wagner

Stefan Kaulbersch

… gründete vor mehr als 20 Jahren zusammen mit Mark Maier in Köln die Agentur ENORM. Seit seinem Studium an der Akademie für Bildende Künste in Stuttgart arbeitet er bis heute mit Vorliebe in den Themenfeldern, in denen Kunst und Design spannungsvoll zusammentreffen.

In der nächsten Ausgabe von VAN: Das Konzerthaus-Duell Hamburg gegen Leipzig.

... arbeitet als freier Art-Direktor und Grafik-Designer in Köln. Er kuratiert Ton, Text und Bild für verschiedene Labels und Projekte und gibt Workshops im Spannungsfeld von klassischer Typografie, experimentellem Design und interaktivem Sound. Bei VAN kümmert er sich um Pixel, Codes und Kreatives. alex@van-verlag.com