VAN: Wie nimmst du das gesellschaftliche Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern in Zeiten von Frauenförderungen und Quotenregelung wahr?

Olga Neuwirth: Unter dem Druck von frivolen Erwartungen ist es heute für viele Frauen einfacher, weiterhin das männliche Bedeutungssystem zu benützen. Andere Frauen wiederum haben für sich herausgefunden: ›Jetzt muss ich frauenbewegt sein.‹ Was haben diese oft meiner Generation angehörenden Frauen vor über 25 Jahren gemacht, als ich bereits öffentlich immer wieder darauf hingewiesen habe, wie das hegemoniale Sprach- und Machtsystem in unserer Branche funktioniert? Man konnte bedeutende Theoretikerinnen zu diesem Thema schon in den 1980er- und 1990er-Jahren lesen, was ich seit meinem fünfzehnten Lebensjahr getan habe. Oder, ich nehme nur mal Österreich her, man konnte sich mit Valie Export oder Elfriede Jelinek und vielen anderen unbeirrbaren, eigenständig denkenden und mutigen Künstlerinnen befassen, die ein vielfältiges Schaffen aufweisen. Das war ja alles da. Warum haben diese Frauen sich nicht damals schon geäußert? Weil es nun auch in unseren Breitengraden gesellschaftsfähig geworden ist und besonders, weil die Frage nun in unserer konservativen Kunstsparte angekommen ist? Weil erkannt wurde, dass man sich damit auch persönliche Macht und Gratifikation erobern kann? Es geht aber seit Jahrhunderten darum, wann man kritisch ist und Probleme erstmals anspricht! Nicht erst dann, wenn es ohnehin schon alle Spatzen von den Dächern pfeifen und man nicht mehr angegriffen werden kann.

Ich habe schon vor über 25 Jahren auf das Thema Gleichbehandlung hingewiesen, als es in unserer Branche noch niemand sonst getan hat im miefigen Österreich. Denn ich war auf einsamer Flur, als ich Ende der 1980er-Jahre als Komponistin in diese (männliche) Szene kam. Mit meinen Aussagen habe ich den Kopf für viele Frauen und Komponistinnen hingehalten.

Wie gesagt, wir befinden uns in der klassischen Musikwelt, die weiterhin weiß, männlich und patriarchalisch ist, weiterhin in einem hegemonialen System. Und generell sind alle Sprachsysteme weiterhin männlich, weil noch immer keine weibliche ›Gegensprache‹ gefunden wurde. Es dürfen zwar manchmal ein paar Frauen etwas einbringen. Aber generell wird man als streitbare Frau, die sich vielleicht auch noch konsequent falschen Bildern und geschönten Erzählungen des Lebens und der Kunst verweigert, nicht wirklich ernst genommen, sondern eher verachtet. Meine Geschichte des Komponierens ist jedenfalls auch die Geschichte der ständigen Infragestellung des Komponierens einer Frau. Und das ist zermürbend.

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Wie haben sich aus deiner Perspektive die Diskrepanzen in der Behandlung von Frauen und Männern in der zeitgenössischen Musikszene seit Anfang der 1990er Jahre gewandelt?

Ich finde, sie ist fieser geworden. Es herrscht ein eleganterer Chauvinismus. Man kann heute auf Probleme nicht mehr direkt hinweisen, so offensichtlich, wie das für mich in der bleiernen Zeit in den späten 1980er Jahren möglich war. Wenn die Frau heute auf Missstände hinweist, dann passiert oft Folgendes: Es wird als Hysterie abgetan und ›the empire strikes back‹. Man wird ohne Erklärungen und Diskussionen einfach rausgeworfen und zum Widersacher stilisiert.

Als Freischaffender muss man sich ständig neu stimulieren, mir aber wurde meine Selbstachtung genommen, auch der Glaube an mein Können. Ich bin ja als freischaffende, peripatetische Komponistin völlig abhängig vom good will der Entscheidungsträger. Und es gab auch immer wieder ein anderes Wort, das mir öfter zugewiesen wurde: ›Diese freche Göre.‹ Frech ist man, wenn man keinen Machtanspruch hat. Wer sagt schon ›frech‹ zu einem (jungen) Mann – der ist eher ein ›wilder Mann‹, und ›wild‹ heißt, dass man respektiert wird, dass man diesem Mann Achtsamkeit abverlangt. Denn ›frech‹ ist man hierarchisch betrachtet nur von unten nach oben. Das heißt, wenn man eine ›freche‹ Frau loswerden will, wird sie am besten respektlos entsorgt von den ›wilden Kerlen‹.

Dass ich vor 13 Jahren mit dem wunderbaren Libretto von Elfriede Jelinek für eine neue Oper rausgeworfen wurde – und das Stück wurde ja in Auftrag geben, wir haben uns nicht hinterhältig an die Herren Intendanten herangepirscht –, ist für mich heute noch unfassbar. Niemand in der gesamten Musikbranche war solidarisch, obwohl der Auftrag bereits mehrfach veröffentlicht worden war. Der Vorfall wurde sofort unter den Teppich gekehrt, als ob er nicht existiert hätte. Und im Zusammenhang mit meiner Oper Lost Highway hat ein Dramaturg in einer E-Mail, die ich heute noch besitze, geschrieben: ›Drei Frauen sind zu viel‹. Das waren Valie Export als Bühnenbildnerin, Olga Neuwirth als Komponistin und Elfriede Jelinek als Librettistin.

Olga Neuwirth im Lost Highway-Zimmer im Projekt The Hotel des Architekten Jean Nouvel in Luzern · Foto PRISKA KETTERER
Olga Neuwirth im Lost Highway-Zimmer im Projekt The Hotel des Architekten Jean Nouvel in Luzern · Foto PRISKA KETTERER

Also reagiert das männlich dominierte System so, weil es sich bedroht fühlt?

Genau. Die Macht fühlt sich von der Kunst ohnehin bedroht und von einer kleinen Frau in einer männlichen Domäne anscheinend ganz besonders. Vor 25 Jahren gab es noch viel mehr Formen an Diskriminierung gegenüber Komponistinnen, zum Beispiel auch von Ehefrauen von Komponistenkollegen, die mir ins Gesicht sagten, von Frau zu Frau sozusagen: ›Du wirst ja nur gespielt, weil du eine Frau bist.‹ Was ich mir alles habe anhören müssen innerhalb dreier Jahrzehnte – von allen möglichen Seiten –, das ist schon unglaublich und sehr betrüblich. Die Herren der Branche waren anscheinend geschockt, dass eine ›junge freche Göre‹ sich wagt, an ihren Privilegien zu sägen, selbst zu denken, eigene Ideen zu haben und bekannt zu werden. Das wurde als Überschreitung und Anmaßung angesehen.

Immerhin gab es in den 1990er-Jahren Foren wie das von Gisela Gronemeyer veranstaltete Festival ›Frau Musica Nova‹ in Köln oder die von Christel Nies organisierte Reihe ›Komponistinnen und ihr Werk‹ in Kassel …

In Kassel war ich einmal, als ich ungefähr 20 war, um role models zu finden. Wenn sich aber über viele Jahre hinweg an den Strukturen, den Entscheidungsmechanismen nicht wirklich viel ändert, weil zum Beispiel stolz rausposaunt wird: ›Wir präsentieren nun all women-Festivals‹ oder ›Wir fokussieren nun auf Dirigentinnen‹, aber mit der inneren Haltung: ›Dann haben wir unsere Schuldigkeit getan und machen weiter wie davor‹, dann ist das ernüchternd. Der Sinn der Sache ist doch – und das betrifft alle Minderheiten, die sich je für ihre Rechte eingesetzt haben –, dass sich unterschiedliche Menschen freier, offener, verständnisvoller und menschlicher begegnen und nicht mit Arroganz und Überheblichkeit. Dass sich Gegensätze und andere Formen des Lebens und Ausdrucks vermischen und nicht immer wieder darauf hingewiesen werden muss. An der Vorherrschaft oder Überlegenheit einer Institution oder Macht hat sich nichts geändert. Ich möchte aber Neues erfahren, das in mir neue Empfindungen und Gedanken auslöst.

Dann gibt es ja gewissermaßen auch Trostpflaster, etwa in Form von Förderstipendien und Kompositionspreisen speziell für Komponistinnen …

Das muss es auch geben. Am Beginn von Erfahrungsprozessen ist das wichtig. Doch wenn sich wirklich etwas verändern soll – und ich hoffe, dass sich etwas einmal strukturell verändert, sonst redet man sich den Mund nur über Jahre hinweg fusselig, und jedes Reden hat keinen Sinn, wenn die andere Seite gar nicht reagieren will –, dann sind solche Auszeichnungen und Förderungen nur eine Alibiaktion. Ich finde, das verändert nicht das System. Und das Wichtige wäre ja, dass sich eine Bewusstseinsbildung auftut, dass sich etwas tatsächlich zu verändern hat. Denn: wo sind denn wirklich die vielen Komponistinnen, die international auf größeren Podien präsentiert werden?

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Ich habe den Eindruck, dass in der Generation nach dir ein größerer Anteil an Komponistinnen aktiv ist und in der Öffentlichkeit Bekanntheit erlangt hat.

Das ist ja auch gut so. Aber man darf nicht vergessen, dass wir Pionierinnen waren – in vielerlei Hinsicht. Denn Frauen meiner Generation mussten ständig gegen erhebliche Geschlechter-Ungleichheit ankämpfen. Es macht mich daher schon etwas traurig: Ich hab wirklich in den dunklen Wald gerufen, und zwar auch in Bezug darauf, dass es Akzeptanz für zeitgenössisches Komponieren an sich geben muss; eine gesellschaftliche Bewusstseinsmachung für die Situation der sogenannten ›zeitgenössischen Komponisten‹, um ihnen überhaupt zu einer Stimme zu verhelfen. Aber sich als Komponistin in den frühen 1990ern politisch zu äußern, war – auch bei meinen männlichen Kollegen – völlig unpopulär und wurde als Ablenken von den wahren ›Dingen‹ des Komponierens abgetan. Meine Kollegen waren (und viele sind es immer noch) distanziert und herablassend, gemischt mit Argwohn. Offensichtlich war ich ihnen damals mit meinen Themen und meiner Musik zu ›populär‹ und als Person zu unkonventionell, und das bedeutet, dass man deswegen nicht ernst genommen werden kann.

Viele Mitglieder der jüngeren Generation äußern sich dagegen zwar oft politisch, scheinen aber eine ziemliche Oberflächlichkeit an den Tag zu legen, weil sie nur noch bedingtes Interesse an historischen Zusammenhängen haben.

Das kann man vielleicht als Gegenreaktion verstehen, aber grundsätzlich bin ich der Meinung, dass ich wissen muss, dass ich etwas in Anspruch nehme, weil vorher schon eine Grundlage geschaffen wurde. Das geht auch auf sozialpolitische Kontexte zurück: So sind erst in den 1970er Jahren einige Gesetze geändert worden, denn zuvor hieß es zumindest in Österreich zum Beispiel noch: ›Die Frau ist dem Manne folgepflichtig.‹ Unter Kanzler Bruno Kreisky hat die spätere erste Frauenministerin dies und viele andere Gesetze geändert zugunsten folgender Generationen. Das heißt, da waren Menschen, die haben einen freieren Umgang in Leben und Arbeit überhaupt erst möglich gemacht. Wenn jemand dann das ›Glück der späten Geburt‹ hat, weil plötzlich mehr möglich ist – gut für diese Menschen! Nur ich empfinde es als zynisch, wenn man diejenigen, die davor etwas erkämpft haben, wegleuchten will.

Um aber wieder zu unserer Musikbranche zurückzukommen: Als Komponistin wird man weiterhin, in versteckterer Weise zwar, diskriminiert. Man bekommt sehr schnell einen schlechten Ruf, wenn nicht so getan wird, wie von diversen Seiten eingefordert wird, wie man sich zu verhalten habe. Aber wer will unbedingt mit einem schlechten Ruf leben? Das ist nicht lustig. Das hat Konsequenzen, wie ich mehrfach erleben konnte. Ich glaube, viele wollen sich das einfach nicht antun. Außer, Kritisch-Sein wird ›in‹, und dann hängt man es sich gerne als Label um …

Ein Bad-Boy-Image eignet man sich nur an, wenn man sich dabei nicht schadet. Da sind wir schon wieder bei der Sprache: ›Bad Boy‹, das wäre wieder der ›wilde Kerl‹, dem Respekt entgegen gebracht wird. Doch gibt es überhaupt ein ›Bad-Girl-Image‹?

Das gab es eher nur in der Punk-Szene. Daher komme ich. Das hat mich als Fünfzehnjährige interessiert und geprägt. Aber das war ja auch nur am Rande und sozusagen als Subkultur erlaubt. Aber je höher man ins sogenannte Elitäre und die Exklusivität kommt, desto patriarchaler und ausgrenzender werden die Strukturen.

Ich hatte als Komponistin über viele Jahre hinweg mit Elfriede Jelinek, dieser fantastischen, eigenwilligen Schriftstellerin zusammengearbeitet, weil ich Zeugnis über die Gegenwart ablegen wollte. Für mich war daher die Verhaltensweise der Intendanten ein absolutes Zeichen dafür, dass ›bei uns‹ ein normiertes Männersystem herrscht. Dass genau zwei Frauen (wie viel fruchtbare Kollaborationen gab es denn in den 1990ern zwischen einer Komponistin und einer Schriftstellerin?), wovon eine nicht unbekannt und die andere sehr berühmt ist, geholt werden und ihnen gönnerhaft gesagt wird: ›Also ihr dürft jetzt zusammen eine Oper machen.‹ Dann schreibt die Schriftstellerin in ihrer Begeisterungsfähigkeit einen tollen, scharfen Text, und dann sagt man selbstgefällig aus der Arroganz der Musikbranche heraus – das ist die eigentliche Anmaßung, nicht die Umkehrung – dass wir die Anmaßenden sind: ›Die kann keinen Text schreiben.‹ Das habe ich schriftlich. Und drei Monate später erhält diese Schriftstellerin den Nobelpreis für Literatur!

Wer würde dagegen einen Komponisten und einen Nobelpreisträger, die man eingeladen hat, wieder ausladen? Man weist vielmehr sogar bei einem meiner Kollegen ständig darauf hin, dass der Librettist ein Nobelpreisträgeranwärter sei, um alles noch aufzuwerten. Ich dagegen arbeite mit einer Literaturnobelpreisträgerin zusammen, und wir werden rausgeschmissen. Das sagt eigentlich alles, da braucht man nichts mehr hinzufügen über den Umgang mit Frauen in der klassischen Musikszene. Und das war nicht vor 25 Jahren, sondern 2001 hat die ganze Geschichte begonnen und 2005 ihr Ende gefunden.

Olga Neuwirth bei der Eröffnung des steirischer herbst 2003 · Foto Nicolas Lackner
Olga Neuwirth bei der Eröffnung des steirischer herbst 2003 · Foto Nicolas Lackner

Neben dem, was du hier so ansprichst, spielt meiner Meinung nach auch das äußere Erscheinungsbild, die Inszenierung von Weiblichkeit eine gewisse Rolle bei der Akzeptanz von Frauen.

Viele Leute haben mir gesagt, als sie das Cover des Programmheftes zur Aufführung von Le Encantadas in Paris gesehen haben: ›Ach, du bist auch hübsch!‹ Ha! Es ist ja nicht so, dass ich das nicht sein kann, im Sinne von: Muss ich ständig ›mit mir selbst identisch‹ sein? Aber ich finde es absurd, und das wollte ich nie, dass man sozusagen als Frau nur über den Umweg Sex oder der Zuweisung ›she is so cute‹ zu seinem Ziel, beziehungsweise Erfolg kommen soll. Kann man nicht das Werk an sich betrachten? Das war und ist natürlich naiv von mir, das weiß ich. Ich hätte es immer einfacher haben können.

Ich habe das Gefühl, dass die Thematik auch in deinen Werken eine Rolle spielt. Beispielsweise wäre der kurze Film Die Schöpfung, den du 2010 mit Elfriede Jelinek zusammen gemacht hast, wohl nicht entstanden, wenn du nicht diese ganzen negativen Erfahrungen gemacht hättest.

Ja, aber das ist ein anderes Thema. Es geht mir immer auch um eine ironische Brechung. Im Sinne von Thomas Bernhards Aussage über ›Zwangswitze‹, die man machen müsste, um mit einer aussichtslosen Situation umzugehen: eine Paradoxie aus Absurdität und Melancholie, Verzweiflung und Trotz. Das Sich-Entziehen, das habe ich eigentlich immer versucht in all meinen Stücken, weil ich keine Einordnung in Schubladen möchte. Was wiederum, bei mir zumindest, dazu geführt hat, dass ich nicht kategorisiert werden konnte, und es daher heißt: ›Bei der weiß man nie, was man bekommt‹. Als ob das Unterschiedliche keine Qualität hätte. Bei Kollegen wird aber genau das als das Tolle, Gekonnte gehypet.

Es gibt kein fixes Konzept der Geschlechter, sondern man kann sich sozusagen performativ immer verändern, und das hat sich für mich auch auf meine Musiksprache selbst ausgewirkt – ich spiele damit, ich spiele immer mit einer anderen Facette.

Diese Differenzierung wirkt sich natürlich auch auf männliche Bühnengestalten aus, zum Beispiel in Bählamms Fest auf Jeremy, zeigt sich aber auch in deiner langjährigen Beschäftigung mit Klaus Nomi, der ja selbst auf geradezu ideale Weise diese Performativität verkörpert. Und es verhindert glücklicherweise auch, dass man Stücke wie Bählamms Fest nicht einfach aus feministischer Perspektive interpretieren kann, da die Hauptfiguren – beide Außenseiter innerhalb ihrer Gesellschaft – zu komplex und widersprüchlich sind.

Das stimmt, es würde einfach nicht funktionieren und wäre zu eindimensional. Man muss auch der anderen Seite – und da fängt es ja an – genauso eine Existenz zugestehen wie der eigenen. Wenn ich etwas einfordere, muss es für den anderen auch die Möglichkeit geben, etwas einzufordern. Also komplexe Sachverhalte sollten für mehrere Betrachter nachvollziehbar und erkennbar sein, das ist wirklich wichtig. Nur dann muss ich es, zumindest im Musiktheater, wie in einer Versuchsanordnung aufeinanderprallen lassen. Wie bei David Lynch: ›The stage as catastrophe‹. Aber es gab, etwa von der Seite der Kritiker, nie wirklich den Versuch, darauf genauer einzugehen. Und dadurch verschwindet die Komponistin auch schon hinter ihren männlichen Kollegen was die Rezeption, besonders von großen Werken, betrifft.

Vielleicht noch etwas Positives zum Schluss?

Dass es beiden Geschlechtern und Anderen mehr gerecht wird, das finde ich wichtig. Mich interessieren nun mal andere Menschen. Und jede Situation, in der ich beobachte, lerne und auch handeln muss, ist daher für mich ein Beitrag am ›Abenteuer Komponieren‹.

(gekürzte Fassung eines Gesprächs vom 30. November 2015)

Seit wir unser Gespräch Ende November 2015 geführt haben, hat sich einiges getan. In der Zwischenzeit ist bei VAN ein Interview mit Georg Friedrich Haas erschienen. Für mich werfen die dortigen Äußerungen von Haas einige kritische Fragen in Bezug auf die von uns behandelten Themen auf, da sie deiner Meinung, man müsse ›beiden Geschlechtern und Anderen‹ stärker gerecht werden, völlig entgegen stehen. Insbesondere seine Zuordnung, dass ›die weiblichste Musik, die in den Darmstädter Konzerten zu hören war, von Morton Feldman stammte. Und die männlichste von Olga Neuwirth‹, empfinde ich hierbei als unsensibel. Wie denkst du über die Worte deines Kollegen?

Zu diesem diskriminierenden Interview möchte ich mich eigentlich nicht äußern. Es gäbe darüber viel zu sagen, zumal es unter die Gürtellinie geht. Aber da ich darin von einem ›sehr erfolgreichen‹ Kollegen, wie er sich in der ›New York Times‹ bezeichnet (Olga Neuwirth bezieht sich auf das dortige Zitat einer privaten Nachricht von Haas in einer Online-Partnerbörse, d. Red.), für eine klischeehafte stereotype Zuordnung hergenommen werde, muss ich dennoch Stellung beziehen:

Welche Sexualität beziehungsweise welche Art von Sex jemand hat – ein Aspekt, der ja großen Raum in besagtem Gespräch einnimmt –, ist mir völlig egal, und der Herr soll sich freuen, dass er ›sich gefunden hat‹. Aber damit öffentlich anzugeben und lebende wie tote Kollegen zu instrumentalisieren, um sie zu diskreditieren, ist degoutant. Hat er, wenn er sich schon so ›politisch‹ nennt, jemals davon gehört, dass es viele verschiedene Arten von Lebensformen und Sexualität gibt? Und dass es genau zu den ›Values of New York‹, wie es hier in der Stadt heißt, gehört, dass man tolerant gegenüber Anderen, anderen Lebensweisen ist? Noch dazu bestätigt er mit seinen Aussagen uralte Männerfantasien, die in unserem klassischen Musikbetrieb unhinterfragt im Raum stehen bleiben dürfen und somit in der Öffentlichkeit nachträglich noch bekräftigt werden.

Anscheinend müssen (frauenfeindliche) Klischees aufrecht erhalten bleiben, was man auch an der ›Auslassung von positiven Adjektiven‹ der Kritiker bei meinem Konzert mit den Wiener Philharmonikern in NYC wahrnehmen konnte. Jahrzehntelang wurde zu recht kritisiert, dass es so gut wie keine Frauen im Orchester gab. Nun spielen sie zum ersten Mal überhaupt ein Stück, und zwar hervorragend, von einer Komponistin, und dann wird dieser Schritt zu einer Verbesserung verleugnet, nur damit anscheinend das Negativ-Klischee aufrecht erhalten bleibt. Es scheint bedrohlich und störend für die ›Gesellschafts-Ordnung‹ in unserer klassischen Musikwelt zu sein, wenn mehr Frauen aufscheinen im Business, die dieselben Möglichkeiten bekommen. Wirklich ernüchternd hingegen ist, und das ist mir eben seit vielen Jahren bewusst, dass in unserer Branche niemand aufschreit bei solch diskriminierenden Aussagen eines Künstlers, was in anderen Kunstsparten bestimmt der Fall gewesen wäre. ¶

2 Antworten auf “›Ich fühle mich wie der Salat in einem Burger: der ist da, aber man schmeckt ihn nicht.‹“

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