Musiker*innen, die ihren Job ernst nehmen, üben nicht nur mit dem Instrument in der Hand, sondern studieren außerdem am Schreibtisch ihre Noten. Musiker*innen, die ihre Außenwirkung ernst nehmen, posten zusätzlich auf Twitter oder Instagram, wie sie am Schreibtisch ihre Noten studieren.Anstelle des Blicks in die Noten heute also mal ein Blick auf ihre Inszenierung: Auf sorgfältig – mal symmetrisch, mal elegant asymmetrisch – platzierte Bleistifte, Milchkaffee, Whiskey, geliebte Vierbeiner und ziemlich viel Grünzeug. Tausend Wege führen zur perfekten Noten-Studium-Ästhetik. Die Tops und Flops nebst Bewertung gibt’s hier.

Sakari Oramo setzt auf Symmetrie, auch wenn der Anspitzer natürlich aus dem Rahmen fällt. Die diagonal angeordneten Bleistifte bilden einen interessanten Gegensatz zu den sonst sehr dominanten senkrechten Linien des Barcodes. Der Barcode selbst stellt eine optische Verbindung zu den in diesem Foto gar nicht sichtbaren Notenlinien her (oder ist mir einfach der Galerie-Besuch von letzter Woche zu Kopf gestiegen?). Was die (Fahrrad?-)Brille zur Komposition beiträgt, ist schwer zu sagen – handelt es sich hier um eine spielerische Abstraktion?

Die Tatsache, dass der Anspitzer offensichtlich noch nicht benutzt wurde – zumindest nicht für diese Bleistifte – deutet darauf hin, dass hier erst das Foto und dann die Arbeit gemacht wird. Nicht, dass auf dem Twit-Pic nachher zwei unterschiedlich lange Stifte drauf sind … Hier wurde mit Bedacht drapiert, aber es fehlt doch die wirkliche künstlerische Vision. 2/5 Punkten.


Die Komposition des Dirigenten und Delta-Airways-Medaillon-Mitglieds Keitaro Harada spielt in einer ganz anderen Liga als die üblichen Kaffeetasse-neben-die-Noten-und-ein-schöner-Filter-drüber-Stümpereien so vieler anderer auf Social Media.

Die Stifte sind fast gefährlich spitzt und man kann sogar Typ und Hersteller erkennen. Das Lineal durchbricht die Notenlinien und greift mit seinem Raster gleichzeitig das Thema Rechtwinkligkeit auf, welches im Bild ohne diesen Kommentar auf eine fast platte Art dominieren würde. Das klebrig-süße Nussgebäck ist ein nettes Add-on, aber wirklich genial ist die Anordnung der Noten und Schreibwaren:

Voilà, Fibonaccis Goldener Schnitt, der neben dem Aufbau dieses Stilllebens auch die Gestalt ganzer Universen beschreibt. Haradas Komposition zeigt eine universelle Wahrheit. Die wirklichen Meisterwerke sind nicht die, die er dirigiert, sondern die, die er auf Twitter postet. Punktabzug gibt es lediglich dafür, dass Lineal und grüner Bleistift nicht zu 100% parallel liegen. 4/5 Punkten.


Es gibt diese Instagram-Accounts, die mich leicht erröten lassen ob meiner schäbigen Wohnung, meiner kaputten Schuhe und meines etwas zu hohen Alkoholkonsums. Ich wische mich durch sie hindurch und denke über all die falschen Entscheidungen nach, die ich in meinem Leben getroffen habe und über diese Reinheit im Leben mancher Leute, die ich niemals erreichen werde. Nadine Sierras Instagram-Account ist einer von ihnen.

In diesem Post »arbeitet sie hart an Nannetta« und lässt die Arie aussehen, als hätte sie gerade, unberührt vom Schmutz des irdischen Lebens, das Licht der Welt erblickt. Ein goldener Stift und eine Pflanze scheinen in einer Art Dialog miteinander zu stehen. Die Noten sind wie »erhellt von purem … Gold«, um es mit den Worten der Arie zu sagen. Und außerdem ist diese Musik eins mit der Natur – oder was will uns die Pflanze zeigen?

Ob mit dem Stift jemals irgendwas in diese gänzlich unberührten Noten geschrieben wird, wage ich zu bezweifeln. Des Weiteren bezweifle ich, dass Nadine Sierra ihre Partien mit einem Zweig in der Hand einstudiert. Für dieses durchschaubare Insta-Setup gibt es Punktabzug. 3/5.


Würde ich in der Marketing-Abteilung des Orchesters der MET arbeiten, würde ich dort wahrscheinlich die Meinung vertreten, dass gebrandete Glas- oder Tassenuntersetzer rausgeschmissenes Geld sind. Aber damit läge ich falsch, wie dieser lässige Schnappschuss von Yannick Nézet-Séguin beweist. Der Tee ist schon halb getrunken, auf dem Untersetzer sehen wir einige Spritzer und im Hintergrund seine Eintragungen in Elektra – ein echter Mensch, der echten Tee trinkt und wirklich arbeitet. Und obwohl er das Instagram-Spiel mitspielt, indem auch er die wesentlichen Elemente im Bild unterbringt, scheint sich hier ein vorsichtiger Widerstand zu regen gegen die Oberflächlichkeiten oder die schlichten Lügen, die uns andere Bilder auftischen wollen. Nézet-Séguin fotografiert aufrichtig, aber mit Bedacht – ein Robert Frank der Noten-Foto-Welt. 5/5 Punkten.


Es scheint ziemlich trendy zu sein, Noten-Studium und Ernährung in einem Abwasch zu erledigen – oder es zumindest so aussehen zu lassen. Niemand wird wohl wirklich die Absicht haben, ihre oder seine 30€-Partitur mit Remoulade aus einem billigen Supermarkt-Sandwich vollzuschmieren. Aber genau das wird bei diesem Setting passieren. Und wie soll man die Seiten umblättern, wenn der Orangensaft einem vom Schälen bis in den Ärmel läuft?

Dieses Bild soll wahrscheinlich sagen: Genieß deine Mittagspause. Nach Genuss sieht hier aber gar nichts aus, vielmehr sagt dieses Foto tatsächlich: Du bist zu spät dran, du kennst das Stück überhaupt nicht, du musst jetzt die Nacht durchpauken und nebenbei den Krempel, den du noch im Kühlschrank findest, in dich reinstopfen. 2/5 Punkten.


Diese Arbeit setzt viel mehr politische als ästhetische Schwerpunkte. Was will Classic FM uns sagen? Sie schreiben es nicht dazu und haben über die Komposition wohl auch nicht besonders intensiv nachgedacht. Wir sehen Mozart – gebannt auf die Verpackung einer Kugel aus Schokolade und Pistazien-Marzipan – traurig (ist es gar Selbstmitleid?) und erschöpft aus dem Foto schauend. Vielleicht will er uns warnen: Wenn ihr meine Musik instrumentalisiert, um auf Teufel komm raus irgendwelchen Insta-Content zu generieren, seid ihr noch armseliger als diese Salzburger Chocolatiers, die durch mein Gesicht und meinen Namen ein Vermögen mit nicht mal besonders leckeren Süßigkeiten gemacht haben. Er scheint zu sagen: Hier seht ihr, was passiert, wenn das Bild wichtiger wird als die Musik.

Hätte Mozart wohl Instagram benutzt, wenn er noch leben würde? Vielleicht. Hätte er seine Partituren mit Blumen, Kaffee und Designerkuchen drapiert, um sie zu fotografieren? Ich denke, die Antwort lesen wir sehr deutlich in diesen kleinen, traurigen Augen. 1/5. ¶