Wer nach einer professionellen Musikausbildung die Hochschule verlässt, hat sehr unterschiedliche Vorstellungen vom zukünftigen Berufsleben. Die Ziele und angestrebten Tätigkeitsfelder sind so divers wie die Ausbildungswege und Interessenschwerpunkte. Eines ist den fertig ausgebildeten Musiker:innen jedoch gemeinsam: Abgesehen vom Bereich der Schulmusik, in dem Absolvent:innen angesichts des chronischen Mangels an qualifizierten Lehrkräften zumeist eine Festanstellung erwarten können, müssen sie sich mehrheitlich auf eine Laufbahn als Freiberufler:innen einstellen. Einem kleinen Teil der Absolvent:innen gelingt es, feste Verträge in Ensembles oder an Lehrinstitutionen zu erhalten (Zahlen sind etwa beim MIZ sowie beim Statistischen Bundesamt zu finden). Ansonsten sind die weitaus meisten professionell ausgebildeten Musiker:innen künstlerisch und/oder pädagogisch in der freien Szene aktiv, wobei Patchwork-Existenzen mit mehreren, teils stark diversifizierten und nicht selten prekären Einkommensquellen vorherrschen. Da Honorarkräfte und Soloselbstständige meist nicht kontinuierlich oder nur in Teilzeit mit Orchestern, Theatern oder Ausbildungsstätten zusammenarbeiten, werden sie weder durch Personalräte noch durch Gewerkschaften vertreten. Es wäre also naheliegend, wenn die Interessen dieser Berufsgruppe in eigenständigen Musikverbänden oder Standesvertretungen gebündelt würden. Dies ist aber nicht die Regel: Gemessen am Format und an der Bedeutung der freien Musikszene, zumal in Großstädten, ist nur ein verhältnismäßig kleiner Anteil der freischaffenden Musiker:innen und Musikpädagog:innen berufsständisch organisiert. Warum ist das der Fall?
»Wenn wir uns solidarisiert haben, dann nur aus Notwendigkeit. Schlagkräftige Kunstgewerkschaften wird es meines Erachtens nicht geben. Das liegt am Wesen unserer so individuellen Beschäftigung.«
Christian Gerhaher, Sänger (Merkur, 16.02.2022)
Unabhängig davon, was man unter ›Kunstgewerkschaften‹ versteht, und ob man Christian Gerhahers Begründung beipflichtet oder nicht: Sein Befund ist alarmierend. Er suggeriert, dass das unter Musiker:innen verbreitete Einzelkämpfertum – ob sich dieses während der Ausbildungszeit entwickelt, oder ob es sich um eine mit der Berufswahl korrelierende Charaktereigenschaft handelt, sei dahingestellt – einem Zusammenschluss von Gleichgesinnten entgegensteht, oder dass sich derartige Interessengemeinschaften allenfalls dann bilden, wenn eine wirtschaftliche Notlage droht. Ist diese Situation unveränderlich oder lassen sich Vernetzung, gesellschaftliche Repräsentation und ›Schlagkräftigkeit‹ in der Interessenvertretung freischaffender Musiker:innen durch aktive Maßnahmen befördern?

Der von Gerhaher geschilderte Zustand hat noch weitere Ursachen. Im Musikleben gibt es eine für Berufseinsteiger:innen nicht leicht zu überblickende Vielfalt an Interessenverbänden, Gewerkschaften und anderen Organisationen. Oft wissen die Betreffenden aber kaum etwas über die bestehenden Möglichkeiten, sich zu vernetzen und gemeinsam mit Kolleg:innen Lobbyarbeit im Interesse der eigenen Berufsgruppe zu betreiben. Hier liegt zum Einen ein Versäumnis der Ausbildungsinstitutionen vor, die oft nicht in ausreichendem Maße auf die Berufspraxis als freischaffende:r Musiker:in vorbereiten und in ihrem Lehrangebot nicht oder kaum über Möglichkeiten der beruflichen Interessenvertretung informieren. »Das starke Machtgefälle an den Hochschulen dient nicht der Emanzipation der Studierenden«, kommentiert die Pianistin und Schlagzeugerin Heike Michaelis, Vorsitzende des Tonkünstlerverbands Hessen, diesen Zustand. »Ein stärkeres politisches Bewusstsein zu schaffen wäre Aufgabe der Verbände, aber auch schon der Hochschulen.« Gerade in den rein künstlerisch ausgerichteten Musikstudiengängen werden Studierende mitunter belächelt, wenn sie sich hochschul- oder kulturpolitisch engagieren, oder es wird ihnen sogar durch Lehrkräfte von Aktivitäten, die nicht dem Erreichen der Studienziele dienen, abgeraten. So kann sich ein kritischer Blick auf den Arbeitsmarkt und das Ausbildungssystem vielerorts kaum entwickeln. Zum Anderen besteht bei den Berufsverbänden selbst oft Nachholbedarf im Hinblick auf die Mitgliederakquise und Öffentlichkeitsarbeit, so dass die Organisationen ihren potenziellen Nachwuchs kaum erreichen. Neben mangelnder Informiertheit spielen auch Vorbehalte gegenüber einem Engagement, das über die künstlerische Vervollkommnung hinaus geht und diese möglicherweise negativ beeinflussen könnte, eine Rolle: »Es gibt noch zu viele Kulturschaffende, die aus Angst, Arbeit zu verlieren, nicht ihre eigenen Rechte wahrnehmen«, berichtet die Kölner Cellistin Ella Rohwer, zweite Vorstandsvorsitzende des Berufsverbands PRO MUSIK.
Anders als in vielen anderen Berufsgruppen existiert für künstlerische Berufe keine Kammer (als berufsständische Körperschaft des öffentlichen Rechts, ggf. mit Pflichtmitgliedschaft). Eine solche ist auch nicht in Reichweite, da zu deren Einrichtung eine langfristige politische Initiative erforderlich wäre. So bleibt als Status quo eine stark zerklüftete Verbandslandschaft, deren Akteur:innen sich zum Teil durch widerstreitende Partikularinteressen gegenseitig blockieren. Von dem Ideal einer gebündelten Interessenvertretung, bei der einzelne Individuen auf die Realisierung gemeinsamer Zielsetzungen hinarbeiten und an einem Strang ziehen, ist die Musikszene so weit entfernt wie kaum eine andere Branche.
Was ist ein Berufsverband?
Um die aktuellen Anforderungen und Chancen berufsständischer Interessenvertretung für Musiker:innen zu adressieren, ist eine Bestandsaufnahme hilfreich, welche Verbände und kulturpolitischen Organisationen im Musikleben aktiv sind. Die größte öffentliche Präsenz zeigen die Gewerkschaften, von denen mehrere auch Kunst- und Kulturschaffende vertreten. Die Gewerkschaft ver.di verfügt über eine mit eigenem Personal ausgestattete Fachgruppe Musik, die nach eigenen Angaben 4.500 in Musikberufen tätige Personen vertritt. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat Mitglieder unter den Lehrkräften an Musikschulen, allgemeinbildenden Schulen und Universitäten, die Deutsche Orchestervereinigung (DOV) mit rund 12.800 Mitgliedern widmet sich der Interessenvertretung der in Tariforchestern angestellten Musiker:innen sowie zum Teil der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen. Gewerkschaften sind in der sozialdemokratischen Tradition verwurzelt und agieren als klassische Arbeitnehmervertretungen, die vom Anstellungsverhältnis als Standardfall ausgehen. Damit sind sie in der Regel nicht der erste Ansprechpartner für freischaffend Tätige, an deren Belangen sie sich naturgemäß nicht orientieren. Zwar sind sie berechtigt, Tarifverhandlungen zu führen, allerdings kommen bessere Bedingungen für Tarifbeschäftigte bestenfalls indirekt den Freischaffenden zu Gute.
Formal und inhaltlich für freischaffende Musiker:innen zuständig ist der Deutsche Tonkünstlerverband (DTKV), eine föderal organisierte Interessenvertretung für Musikberufe aller Art, die sich in einen Bundesverband, 16 Landesverbände sowie ggf. in eine regionale Ebene gliedert. Der DTKV bezeichnet sich als ältester und größter Berufsverband für Musiker:innen in Deutschland. Gemessen an seiner Mitgliederzahl von 9.300 Personen hat er jedoch eine verhältnismäßig geringe öffentliche Reichweite und politische Repräsentation. Trotz vielfältiger Kooperationen, etwa mit den Landesmusikräten, der GEMA und der Künstlersozialkasse, dominiert hier eine starke Orientierung am künstlerischen und pädagogischen Schaffen, die erst nach und nach durch ein aktiveres, stärker nach außen gerichtetes kulturpolitisches Agieren ergänzt wird. PRO MUSIK, ein im Jahr 2020 neu gegründeter Verband freier Musikschaffender, dessen Mitglieder ohne Landesebene direkt an der Arbeit des Bundesverbands partizipieren, ist sowohl inhaltlich als auch musikalisch-stilistisch breit aufgestellt und betreibt für derzeit rund 500 Mitglieder eine effiziente und gut vernetzte kulturpolitische Lobbyarbeit.

Außerdem existieren einige weitere, zum Teil regional agierende Organisationen für bestimmte Musiksparten, beispielsweise die Vereinigung Alte Musik (VAM), die initiative neue musik Berlin (inm) und die Deutsche Jazzunion. Es gibt zudem Interessengemeinschaften für bestimmte Berufsgruppen, etwa die Bundeskonferenz der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen (bklm), die Initiative Freie Ensembles und Orchester (FREO) und die Bewegung art but fair, die sich für angemessene Entlohnung der Arbeit von Musiker:innen und darstellenden Künstler:innen einsetzt. Die Leitungen öffentlicher Musikschulen sind Mitglieder im Verband deutscher Musikschulen (VdM); viele private Musikschulen sind hingegen im Bundesverband der freien Musikschulen (bdfm) organisiert, während Musiklehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen sich im Bundesverband Musikunterricht (BMU) vernetzen können. Fast alle genannten Verbände und Initiativen sind Mitglieder im Deutschen Musikrat (DMR) oder den jeweils zuständigen Landesmusikräten, die als Dachorganisationen der Musikverbände fungieren. Die Musikräte verfügen zwar grundsätzlich über Fördermöglichkeiten, konzentrieren sich in ihrem Tagesgeschäft aber zumeist auf die Durchführung von Veranstaltungen und Wettbewerben. Damit bieten sie zwar Potenzial zur Vernetzung, nutzen die bestehenden politischen Kontakte aber nicht für eine tatsächliche Interessenvertretung freischaffender Musiker:innen, die in ihnen nur mittelbar über andere Organisationen Mitglied sind. Mitunter fehlt in den Musikräten und ihren Strukturen der Kontakt zur Basis: »Viele Funktionär:innen haben nur bedingt Verständnis für die Situation freiberuflich Tätiger, weil sie selbst in finanziell abgesicherter Position sind«, beobachtet Heike Michaelis.
Ein grundsätzliches Merkmal – und Problem – von Musikverbänden auf allen Ebenen ist die Ehrenamtlichkeit. Mit Ausnahme der Musikräte agieren Vereinsvorstände und Geschäftsführungen in der Regel unentgeltlich und nebenamtlich. »Eine Professionalisierung der Verbandsarbeit ist unabdingbar«, meint Heike Michaelis. »Um das zu erreichen, braucht es institutionelle Förderung und stärkeres finanzielles Engagement der Mitglieder.« Im Zuge solcher Bestrebungen müssten Verbände öffentliche Mittel in Anspruch nehmen dürfen, um Geschäftsstellen einrichten können, die zumindest mit einer fest angestellten Arbeitskraft besetzt sind – und idealerweise mit einer weiteren Stelle für Öffentlichkeitsarbeit.
Ein weiteres Problem der stark diversifizierten Verbandslandschaft ist, dass meist zu wenige Daten über die vertretenen Mitglieder vorliegen. In manchen Verbänden hat es Erhebungen gegeben, die aber nur intern verwendet werden konnten, einige globale statistische Daten werden durch das Musikinformationszentrum des Deutschen Musikrats bereitgestellt. Genauere Informationen über die Mitglieder der Verbände (welche Personen mit welchen Ausbildungen, Einkommensquellen und Tätigkeitsschwerpunkten werden vertreten? Was erwarten diese von ihren Verbänden?) stehen in der Regel nicht zur Verfügung. Ohne eine belastbare Datenbasis sind allerdings kaum konkrete Aussagen und Positionierungen gegenüber der Kulturpolitik und in den Medien möglich. Eine Tendenz scheint mir aber feststellbar zu sein: Ein überdurchschnittlich hoher Anteil der Personen, die sich als freischaffende Musiker:innen in Verbänden engagieren, ist weiß, über 40 Jahre alt und in der ›klassischen‹ Musikszene beheimatet. Hingegen gelingt es bisher nicht in ausreichendem Maße, potenzielle jüngere Mitglieder, also Absolvent:innen und Studierende, anzusprechen und die an Ausbildungsinstitutionen vorherrschende Diversität auch in den Musikverbänden abzubilden. Selbst für einen jungen Verband wie PRO MUSIK stellt es eine Herausforderung dar, die kulturelle, ethnische und musikalisch-stilistische Vielfalt der freien Musikszene in der Mitgliederschaft zu repräsentieren.
Warum engagieren sich Musiker:innen in Interessenvertretungen?
Angesichts der geschilderten Situation liegt die Frage auf der Hand, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit Musiker:innen sich in Berufsverbänden, in Spartenorganisationen, in Arbeitsgemeinschaften der Musikräte und sonstigen kulturpolitischen Gremien engagieren und damit die Position und die Anliegen von Freischaffenden in den genannten Organisationen repräsentieren können. Klassische Beweggründe, die zum Beitritt motivieren, sind die ökonomischen Vorteile der Mitgliedschaft, etwa eine Berufshaftpflichtversicherung oder die erleichterte Umsatzsteuerbefreiung. In einigen Fällen steckt mehr dahinter: etwa der Wunsch nach Solidarisierung mit der eigenen Berufsgruppe, der Wille, Veränderungen zu bewirken – durchaus auch mit einem gewissen Kampfgeist – oder weiterführende kulturpolitische Ambitionen. »Der eigene Leidensdruck war als Initialmotivation für mich ausschlaggebend«, äußert sich Ella Rohwer als selbst Betroffene, die ihre Situation zum Anlass genommen hat, mit einigen Gleichgesinnten einen neuen Berufsverband zu gründen: »Daraus ist ein starker Wille gewachsen, die Situation grundlegend zu verbessern und damit auch kulturpolitisch zu arbeiten.« Auch der Berliner Bratschist und Musikpädagoge Jens Domeyer betont die Wichtigkeit, sich mit der eigenen Berufsgruppe zu solidarisieren: »Ich bin in einem Berufsverband, weil ich die Honorarsituation schlimm finde, weil ich weiß, dass Tausende unserer Kolleg:innen so arbeiten, und weil mich die Situation vieler Menschen, die ich in meiner eigenen Zeit in dem Business getroffen habe, sehr unglücklich macht.«
Mein Eindruck ist, dass unternehmerisches Denken die Fähigkeit befördert, nachdrücklich für die eigene Sache und für höhere gesellschaftliche Wertschätzung einzutreten. Ein selbstbewusster Umgang mit der eigenen Qualifikation – die Ausbildungszeit vom Beginn des Musikunterrichts bis zu einem berufsqualifizierenden Studienabschluss dauert typischerweise etwa 20 Jahre – und mit dem eigenen ›Marktwert‹ wird sich letztlich in realistischen und auskömmlichen Honorarforderungen widerspiegeln. Die Faktoren, die eine solche Haltung am meisten behindern, sind Dumping-Gagen und Unterbietungswettbewerbe bei den Unterrichts-Stundensätzen. Es existieren keine verbindlichen Honorarordnungen für freischaffendes Musizieren und Lehrtätigkeiten, und alles, worauf man sich als Auftragnehmer:in in diesem Tätigkeitsfeld berufen kann, sind unverbindliche Mindeststandards und Gagenempfehlungen von begrenzter Tragweite, die von beiden Vertragspartnern jederzeit missachtet werden können, ohne dass das Konsequenzen hätte. Solange dies so ist, werden Fähigkeiten im Entrepreneurship und Selbstmanagement essentiell bleiben, ebenso wie ein gewisses Akquise- und Verhandlungsgeschick sowie die Bereitschaft, inakzeptable Angebote abzulehnen, auch ohne einen besser vergüteten Auftrag in Reichweite zu haben.

Nun kann man natürlich die Meinung vertreten, dass ein Bereich wie das Musikschulwesen, in dem ein großer Teil der Musikhochschulabsolvent:innen tätig ist, eine Aufgabe der öffentlichen Hand sei und im Wesentlichen kommunal finanziert werden sollte, anstatt in der Verantwortung Freischaffender zu liegen. Diese Position scheitert jedoch vielerorts an der Realität: In einer Metropole wie Berlin sind 80 Prozent der Lehrkräfte an öffentlichen Musikschulen auf Honorarbasis tätig, während die Grundfinanzierung der Institutionen nicht im Ansatz ausreicht, um die bestehende Nachfrage nach Unterricht zu decken. Dies hat zur Folge, dass ein Großteil der Leistungen durch private Anbieter erbracht wird: Soloselbständige Lehrkräfte und freie Musikschulen, die nicht subventioniert werden und deshalb durchschnittlich geringere Honorare an ihre Lehrkräfte zahlen als die kommunalen Einrichtungen, kompensieren das zu knapp bemessene öffentliche Angebot. »Es gibt ja ein großes gesellschaftliches Interesse an Musikunterricht,« konstatiert Jens Domeyer, »nur wird die Leistung der freischaffend Unterrichtenden durch strukturelle Defizite zunichte gemacht. Wie kann es sein, dass freien Musikschulen keinerlei öffentliche Unterstützung gewährt wird, wenn sie doch ein Angebot machen, wohingegen die kommunale Grundversorgung die erforderlichen Plätze für die Schüler:innen nicht bieten kann?« Die Absurdität der Berliner Situation offenbart sich vor allem dann, wenn man sich bewusst macht, dass öffentliche und freie Musikschulen sich weder im Leistungsspektrum noch in der Qualifikation ihres Personals maßgeblich unterscheiden – in vielen Fällen sind ein und dieselben Lehrkräfte zugleich an beiden Institutionstypen tätig.
Anstatt auf bessere Zeiten zu hoffen, regelmäßig die Unterfinanzierung des Bildungssystems und die nicht wahrgenommene Verantwortung der Kulturverwaltung zu beklagen und gelegentliche kleine Fortschritte und Verbesserungen zu beklatschen, durch die sich die Gesamtsituation nicht verändert, erscheint es mir deutlich aussichtsreicher, die Position der vielen Honorarkräfte, der freien Musikschulen und soloselbstständigen Musikpädagog:innen zu stärken und deren hohen Marktanteil als Verhandlungsbasis zu nutzen. Hier könnte ein Ansatzpunkt für Interessenvertretungen und Freischaffendenverbände liegen, um neue Mitglieder zu akquirieren und ihre Repräsentationsbasis zu vergrößern.
Was sollte sich verändern?
Für die zukünftige Diskussion dürfte maßgeblich sein, inwieweit es der Musikverbandslandschaft mit ihren gegenwärtigen Strukturen überhaupt möglich ist, nachhaltige Verbesserungen für freischaffende Musiker:innen zu erwirken. Was müsste geschehen, damit Berufsverbände ihren Mitgliedern eine Perspektive geben können und nicht lediglich als ›Sammelbecken‹ für Personen fungieren, deren Belange in der Gesellschaft nur unzureichend wahrgenommen werden, und die trotz hoher Qualifikation kaum ihren Lebensunterhalt erwirtschaften können? Und auf welche Weise können Selbstviktimisierung und Minderwertigkeitskomplexe, die schon jetzt vielerorts in der freien Szene zu beobachten sind, in kollektives und produktives Handeln überführt werden, um tatsächliche und effiziente Lobbyarbeit zu leisten?
Eine wesentliche Orientierung für das Profil eines Berufsverbands liefert auch die Frage, wie sehr finanzielle Themen die Öffentlichkeitsarbeit und die Debatte innerhalb der Mitgliederschaft bestimmen sollten. Angesichts einer gewissen Scheu vieler Musiker:innen, ihre eigene wirtschaftliche Situation zu erörtern und in ihrer Außendarstellung möglicherweise zu ›kommerziell‹ zu agieren, wenn es doch um die ideellen Werte der Kunstausübung und musischen Bildung geht, darf die Hemmschwelle nicht unterschätzt werden, die ein energisches Eintreten für die eigenen Interessen möglicherweise beeinträchtigt. Lobbyarbeit schließt an dieser Stelle auch Überzeugungsfähigkeit und Impulse zur Entwicklung unternehmerischen Denkens ein. Dies gilt auch für die Verbandsführungen, die sich bisher im Wesentlichen auf Mitgliedsbeiträge als Einnahmequelle verlassen müssen: »Die fehlenden Möglichkeiten für die Finanzierung von kulturpolitischer oder Verbandsarbeit halte ich für ein Kernproblem«, so Ella Rohwer. »Da die Musikwirtschaft finanzstarke Unterstützung hat, wird es immer ein Ungleichgewicht gegenüber den Musikschaffenden geben.«

Dass der Beitritt zu einem Berufsverband und das kollektive Engagement für die Verbesserung der eigenen Position sinnvoll ist, wird niemand ernsthaft bestreiten. Für eine deutlichere Kommunikation dieses Anspruchs spricht sich auch Ella Rohwer aus: »Bereits zu Beginn der Ausbildung oder des Einstiegs in eine professionelle Tätigkeit müsste die Notwendigkeit von Vernetzung und Austausch deutlich sichtbar gemacht werden.« Dazu ist jedoch möglicherweise ein Umdenken erforderlich. Von einem grundsätzlichen Problembewusstsein zu der Gewissheit, dass die Arbeitsbedingungen sich nicht von selbst ändern werden, sondern dass die Eigeninitiative der Betroffenen erforderlich ist, braucht es in vielen Fällen einen Wandlungsprozess, der nur durch Anregungen von außen eingeleitet werden kann.
An dieser Stelle sind die Verbandsführungen gefragt, mehr Strahlkraft und Attraktivität zu entwickeln, insbesondere für den potentiellen Mitgliedernachwuchs. Organisationen wie der DTKV genügen sich häufig in dem bloßen Angebot der Vernetzung und des Aufgehens in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten, nehmen aber zu selten genuin berufsständische oder versorgungspolitische Themen in den Blick: Wo bleiben die Stellungnahmen zur sozialen Absicherung freischaffender Künstler:innen, zu den Entwicklungen im Rentensystem, zur Grundsicherung und zur akuten Gefahr der Altersarmut? Wo bleiben die Positionspapiere und Diskussionsbeiträge zur Zukunft der professionellen Musikausbildung und zur zeitgemäßen Ausgestaltung der Curricula musikpädagogischer Studiengänge? Warum vernetzt man sich nicht über die Musikszene hinaus und beteiligt sich an den Aktivitäten anderer Freischaffendenvertretungen, etwa dem Verband der Gründer und Selbständigen Deutschlands (VGSD) und deren Initiativen zur Reform der Künstlersozialkasse oder zu dem Problemfeld rund um Scheinselbständigkeit und Statusfeststellungsverfahren?
Wenn sich etwas bewegen soll, ist es unumgänglich, die Verbandsarbeit systematisch sichtbarer zu machen. Das Themenspektrum der Interessenvertretungen sollte vergrößert, die Öffentlichkeitsarbeit intensiviert und die bisher bespielten Kanäle und Plattformen maßgeblich erweitert werden. Von Berufsverbänden kann erwartet werden, dass sie in regelmäßigem Austausch mit Vertreter:innen der Musik- und Medienwirtschaft, des Verlagswesens und der Verwertungsgesellschaften stehen. Ihre Vorstände sollten sich regelmäßig öffentlich äußern und sowohl in Print- und Onlinemedien als auch im Rundfunk und Fernsehen präsent sein. Kommunal- und Landespolitik, öffentliche Kulturverwaltung und Förderorganisationen sollten auf Augenhöhe adressiert werden – formal mit einer beratenden Funktion, inhaltlich mit starken Positionen und gut begründeten Forderungen auf der Basis zuverlässiger Daten über die jeweils repräsentierte Mitgliederschaft.
»Mir geht es darum, dass Menschen, die wie ich ihre ganze Kindheit, Jugend und ihr Studium in die Ausbildung investiert haben, davon leben können sollen.«
Jens Domeyer, Orchestermusiker und Musikpädagoge
Zum Schluss bleibt mir ein Appell: Vernetzt Euch, tauscht Euch aus, schließt Euch zusammen! Dies gilt auch für Musikverbände untereinander. Die Personen, deren Interessen zu vertreten sind, stellen schon jetzt die berechtigte Frage, warum sie Beiträge für mehrere Mitgliedschaften zahlen sollten; also sollte man darauf hinarbeiten, dass sie alle Aspekte und Bestandteile der Interessenvertretung möglichst aus einer Hand erhalten. Dies kann bedeuten, dass Strukturen und Organisationsformen – etwa die traditionellen Hierarchien von Bundesverband und Landesverbänden – überdacht werden müssen; vielleicht folgt daraus sogar, dass Verbände als mittel- und langfristige Perspektive fusionieren oder einander geschlossen beitreten sollten. Es gilt ein einfacher Grundsatz: Je mehr Mitglieder sich zusammenfinden und kollektiv vertreten werden können, desto besser. Bis eine solide Basisfinanzierung für Interessenvertretungen, wie sie von den zitierten Verbandsvorsitzenden gefordert wird, geschaffen wird, kann man einstweilen vor allem eines tun: trotz der Einschränkungen der Ehrenamtlichkeit möglichst professionelle Arbeit leisten, innerhalb und außerhalb der Verbände. Es bleibt viel zu tun. ¶