Die, die ohnehin in prekären Arbeitsverhältnissen leben, trifft die Corona-Krise besonders hart. Zu spüren bekommen das im Bereich der klassischen Musik aktuell zum Beispiel Akteur:innen der freien Szene und Lehrkräfte an Musikschulen. Diese »Hierarchie der Not« macht aber auch vor Musikhochschulen nicht halt. Wie hier das Sommersemester aussehen wird, ist bis dato meist noch unklar. Am stärksten wirkt sich diese Unsicherheit auf die Lehrbeauftragten aus, denn sie werden in den meisten Bundesländern nur für tatsächlich gegebene Unterrichtsstunden bezahlt. Wenn keine Lehre stattfinden kann, bedeutet das: keine Einnahmen. »Die Lehrbeauftragten sind bekanntermaßen auf ihre Vergütungen existentiell angewiesen und arbeiten oft schon seit Jahrzehnten unter prekären Bedingungen«, schreiben die Sprecher:innen der Bundeskonferenz der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen (bklm) in einer Pressemitteilung am 30. März 2020. »Die schon unter normalen Umständen unzumutbaren Nachteile des Einsatzes von Lehraufträgen im Rahmen eines ›öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses eigener Art‹ – d.h. ohne jegliche Absicherung – potenzieren sich im Angesicht der Corona-Krise um ein Vielfaches!« An vielen Musikhochschulen wird um die Hälfte des künstlerischen Unterrichts durch Lehrbeauftragte abgedeckt. Darum wird aktuell deutschlandweit mit Hochdruck an Lösungen und Perspektiven gearbeitet, die einerseits den Lehrbeauftragten ein Mindestmaß an finanzieller Sicherheit und gleichzeitig den Studierenden eine möglichst gute Betreuung ermöglicht.

»Viele Kolleginnen und Kollegen sind jetzt erstmal vor Schreck wie erstarrt«, berichtet Klavier-Lehrbeauftragte und bklm-Sprecherin Ulrike Höfer aus Freiburg. »Wir erfahren bisher aber sehr viel Solidarität, unter anderem von den Hochschulleitungen. Diese sind ja jetzt selber sehr gefordert in der Umstellung des Unterrichtsbetriebs. Trotzdem ist unsere Sorge um die existenzsichernden Honorare sehr groß.« Rein juristisch haben Lehrbeauftragte selbst in den allermeisten Bundesländern aktuell kaum Handlungsmöglichkeiten. In den Hochschulgremien sind sie oft nicht stimmberechtigt. Beim Vertrag, den die Hochschule ihnen vorlegen, handelt es sich um einen sogenannten Verwaltungsakt. Das heißt: Die Lehrbeauftragten können ihm nur zustimmen oder eben nicht. Dabei leisten sie in der Regel die gleiche Arbeit wie festangestellte Lehrende, sie tragen als Hauptfachlehrer:in die gleiche große Verantwortung gegenüber den Studierenden, sie stellen einen enormen Anteil des Unterrichts (an manchen Musikhochschulen über 60 Prozent). Trotzdem ist ihr Stundensatz deutlich geringer als der der fest angestellten Kolleg:innen: laut einer bklm-Recherche aus dem Jahr 2017 zwischen 22 und 60 Euro pro 60 Minuten Hauptfachunterricht, Vor- und Nachbereitung werden nicht vergütet, auch während der vorlesungsfreien Zeit (insgesamt fast fünf Monate im Jahr) gibt es in den meisten Bundesländern keine Einkünfte. Vielerorts können Lehraufträge zu jedem Semester fristlos und ohne Angabe von Gründen beendet werden. Die Stundenanzahl, die gegeben werden darf, ist oft begrenzt auf etwas weniger als die Hälfte des Deputats von Professor:innen. Kann, weil die Lehrkraft krank ist, kein Unterricht stattfinden, bleibt fast überall auch die Bezahlung aus. Außerdem sind Lehrbeauftragte weder am Arbeitsplatz noch auf dem Weg dorthin unfallversichert und können keinen Mutterschutz in Anspruch nehmen.

»Uns Lehrbeauftragten bricht jetzt alles weg«, erklärt Birgit Schmieder, Lehrbeauftragte für Oboe an der Universität der Künste Berlin und ebenfalls bklm-Sprecherin. Die meisten Lehrbeauftragten bestreiten ihren Lebensunterhalt neben dem Unterrichten mit Konzertieren. Auch das ist jetzt nicht mehr möglich. »Und wenn ich jetzt für eine gewisse Zeit einem ganz anderen Beruf nachgehe, laufe ich Gefahr, aus der Künstlersozialkasse ausgeschlossen zu werden.« Dabei ist klar: »Hochschularbeit basiert auf der Arbeit von Lehrbeauftragten.« So formuliert es Susanne Rode-Breymann, Präsidentin der Musikhochschule Hannover und Vorsitzenden der Rektorenkonferenz der Musikhochschulen. In der Krise nehmen die Hochschulen die Verantwortung für diese Gruppe offenbar ernst. Überall ist man im Austausch, gründet Taskforces, plant, teilt Wissen, erprobt Technik und Formate unter Beteiligung von Studierenden, Verwaltung, Festangestellten und eben Lehrbeauftragten. Entscheidungen müssten jetzt schnell getroffen werden, so der Rektor der Musikhochschule Detmold, Thomas Grosse, damit die Lehrbeauftragten sich wenigstens auf den Teil ihres Einkommens, den sie durch Hochschulunterricht bestreiten, verlassen können. Und: »Bei der nun dringend notwendigen Umstellung von Lehrangeboten auf Onlineformate müssen die Lehrbeauftragten allein deshalb einbezogen werden, weil im Zentrum der Hochschulaufgabe die angemessene Begleitung aller Studierenden steht. Diese Verpflichtung ändert sich durch digitale Lehre, aber sie entfällt nicht.« In Detmold laufen die Lehraufträge im Sommersemester im gewohnten Umfang weiter. Die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen sind allerdings ein Sonderfall, da hier Honorare auch im krankheitsfall und über die Semesterferien hinweg weiterbezahlt werden und die Lehrbeauftragten mit Stimmrecht in den Hochschulgremien vertreten sind.

Anders als andere Hochschulveranstaltungen kann der instrumentale Hauptfachunterricht aber nicht »einfach« digital stattfinden. Die technischen Möglichkeiten der Klangübertragung und somit der Detailarbeit sind begrenzt, Zusammenspiel ist unmöglich, es fehlen sowohl bei Lehrenden als auch bei Studierenden Hardware, Software, Know-how und ausreichende Internetverbindungen. Manchmal sogar das Instrument oder, wegen der Betreuung von Kindern oder beengter Wohnverhältnisse, die Möglichkeit, überhaupt während der Selbstisolation zu spielen oder zu üben. Von einem willkommenen Schrittmacher der Digitalisierung des Lernens wie an anderer Stelle kann hier keine Rede sein. »Wir wollen in der Musik niemals dahin, dass alles digital unterrichtet wird«, so Rode-Breymann. Das könne nur ein Notbehelf sein. In Hannover plant man derzeit für den Hauptfachunterricht mit einem Mix aus digitaler Lernunterstützung, Selbststudium und Präsenzstunden, die kompakt stattfinden, sobald das wieder möglich ist. Die Lehraufträge für das Sommersemester werden hier nach dem üblichem Verfahren vergeben und bezahlt.

Foto Derek Bruff (CC BY-NC 2.0)
Foto Derek Bruff (CC BY-NC 2.0)

Dasselbe sichert der Rektor der Dresdner Musikhochschule, Axel Köhler, den dortigen Lehrbeauftragten zu: »Unsere Hochschule hat sich entschlossen, die Lehrbeauftragten so zu bezahlen, als ob der Unterricht wie geplant stattfinden würde. Im Vertrauen auf die Studierenden und die Kolleginnen und Kollegen gehen wir davon aus, dass versucht werden wird, alle Möglichkeiten des digitalen Lehrens und Lernens zu nutzen und darüber hinaus, dass der Unterricht nachgeholt werden wird.« Gleiches gilt für die Hochschule in Köln. In Leipzig, so berichtet Birgit Schmieder, würden die Lehrbeauftragten 80 Prozent der Stunden bezahlt bekommen, unabhängig davon, wie viel tatsächlich stattfinden kann. Die Vergabe von Lehraufträgen sei aber, so Susanne Rode-Breymann, grundsätzlich rechtlich nur auf der Grundlage möglich, dass das Sommersemesters stattfindet, was aber noch nicht überall geklärt sei. Mancherorts stünde noch die Diskussion über ein »Nichtsemester« im Raum. Viele Akteur:innen, unter ihnen der Asta der Berliner Universität der Künste, weisen darauf hin, dass man von Studierenden nicht verlangen könne, während der Isolation in normalem Umfang weiter zu studieren. Man müsse ihnen aufgrund der Vielzahl von Problemen beim digital erteilten künstlerischen Unterricht freistellen, diesen wahrzunehmen oder auf Zeiten zu warten, in denen wieder Präsenzunterricht stattfinden kann. Eine reguläre Wertung des Semesters treffe besonders die, »denen geeignete Ausweismöglichkeiten aufgrund ihrer finanziellen und sozialen Lage fehlen«.

Statt nun aber ein Nichtsemester auszurufen, fordern die Hochschulleitungen, dass Lehrbeauftragte und Studierenden gemeinsam nach flexible Lösungen suchen. So können Leselisten, Hörvergleiche und die Auseinandersetzung mit historischen Quellen gleichermaßen sinnvoll für die Studierenden sein wie auch als Arbeitszeit anrechenbar für die Lehrbeauftragten. »Das ist eine Ausnahmesituation, in der jeder und jedem ermöglicht werden muss, mit der eigenen Lebenssituation umgehen zu können«, sagt Ulrike Höfer (bklm) aus Freiburg. Und die neben der Prekarität – wenn auch nicht unbedingt formal in den Beschäftigungsverhältnissen – die Wertschätzung für die Arbeit der Lehrbeauftragten zeigt. So haben Studierende in Berlin eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, um Lehrbeauftragten finanziell kurzfristig aushelfen zu können. »Die Fragilität dessen, was wir tun, wird durch die Krise sichtbar«, fasst es Susanne Rode-Breymann aus Hannover zusammen. »Die Situation der Lehrbeauftragten ist da ein wichtiger Punkt, wie auch die Fragilität von Kultur. Ich mag nicht darüber nachdenken, wie viel nachher kaputt sein wird – die Vielfalt, die Kleinteiligkeit, die Vernetztheit. Und gerade was diese Dinge angeht, sind Lehrbeauftragte ganz zentrale Akteur:innen.« ¶

... machte in Köln eine Ausbildung zur Tontechnikerin und arbeitete unter anderem für WDR3 und die Sendung mit der Maus. Es folgten ein Schulmusik- und Geschichtsstudium in Berlin und Bukarest. Heute lehrt sie Musikwissenschaft an der Universität der Künste Berlin und ist Redakteurin bei VAN. merle@van-verlag.com