Abseits der Bühne, in Jeans, eleganten schwarzen Schuhen und dunklem Blazer, wirkt Key Playerson wie der ganz normale Junge von nebenan – und nicht wie einer, der sich aufgemacht hat, die Welt der klassischen Musik zu verändern. Anfang 2021 versetzte Playerson die Branche in Aufruhr, als er beim Internationalen Prinzessin-Elsa-Klavierwettbewerb alles abräumte, was es zu gewinnen gab. Er erspielte sich nicht nur alle Preise in sämtlichen Kategorien, sondern musizierte derart gut, dass die Jury allen früheren Preisträger:innen, die diesem Vergleich einfach nicht standhalten konnten, ihre Auszeichnungen aberkannte. Als ich ihn darauf anspreche, lacht Playerson. Die Bezeichnung »Wunderkind« wischt er mit erfrischender Bodenständigkeit vom Tisch.

»Ich war kein Wunderkind«, betont er und schließt seine vielfach preisgekrönten Finger behutsam um seinen Latte Macchiato. »Ich habe mit drei Jahren angefangen Klavier zu spielen, wie alle anderen auch. Einen großen Wettbewerbe habe ich erst mit 12 gewonnen. Ich bin eigentlich eher ein Spätzünder.«

Obwohl sie beide keine Profimusiker sind, entdeckten Playersons Eltern schon früh sein absolutes Gehör, als ihr Sohn auf dem Steinway D im heimischen Wohnzimmer die Harmonien aus Mahlers Sinfonien nachspielte. Mutter (Professorin für Neurolinguistik) und Vater (Onkologe) sind begeisterte Liebhaber klassischer Musik. Ehrenamtlich haben sie das New Bramble Music Festival aus der Taufe gehoben, das im letzten Jahr mit Gästen wie Stephen Isserlis, Mitsuko Uchida und Jonathan Biss seinen 30. Geburtstag feierte. Ich möchte Playerson weitere musikalische Kindheitserinnerungen entlocken. Sympathisch zurückhaltend lässt er sich erst etwas bitten, dann beginnt er zu erzählen. 

»Als ich so ungefähr fünf Jahre alt war, habe ich diese Kassette bekommen mit Beethovens 5. Klavierkonzert mit Maurizio Pollini und den Wiener Philharmonikern«, so Playerson. »Als ich zum ersten mal diesen Es-Dur-Akkord gehört habe … wow! Ich habe immer und immer wieder vorgespult, um diesen Klang noch einmal und noch einmal zu hören, bis das Band völlig durch war. Bis ich sieben alt war, wusste ich gar nicht, dass der Satz noch ein zweites Thema hat«, meint er lachend. Es ist Ausdruck von Playersons Bescheidenheit, dass er unerwähnt lässt, dass Pollini ein alter Freund der Familie und sein Patenonkel ist.

Bald darauf nahm Playerson Unterricht bei Pedha Gough, einer Klavierlehrerin aus demselben Viertel. Ich frage sie nach ihrem heute so erfolgreichen Schüler. »Key hat eine einzigartige Begabung – in jeder Generation gibt es nur ganz wenige, die mit so einem Ausnahmetalent gesegnet sind wie er«, sagt Gough, bei der auch sämtliche Gewinner sowohl des Chopin- als auch des Tschaikowsky-Wettbewerbs der vergangenen sechs Jahre sowie der Gewinner des Grammy für das beste klassische Soloalbum von 2020 studiert haben. 

Obwohl er umgeben von klassischer Musik aufwuchs, bewegt sich Playerson auch überraschend sicher in der Welt der populären Musik. Er vergleicht den Ruhm Franz Liszts mit dem der Beatles, was mich zunächst überrascht. Doch Playerson klärt mich auf: Er sei süchtig nach Musik und höre alles, was das Internet hergäbe. Als er im Laufe des Gesprächs auch noch von Audrey Hepburn schwärmt, wundert mich das überhaupt nicht mehr. 

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Eine Frage drängt sich auf: Wie gedenkt Playerson, der bei allem Talent als Newcomer ein noch weitestgehend unbeschriebenes Blatt ist, seine gerade erst beginnende Karriere voranzutreiben? Der Pianist, der als Exklusivkünstler bei der Deutschen Grammophon unter Vertrag steht und mit dem New York Philharmonic, dem Cleveland Orchestra und dem Philadelphia Orchestra aufgetreten ist, der in letzter Minute für Jean-Yves Thibaudet einsprang und im selben Jahr in Ravinia and Aspen brillierte, rührt bedächtig in seinem Milchschaum, bevor er antwortet.

»Ich glaube, das Wichtigste ist, dass du die Musik spielst, die dir wirklich am Herzen liegt, und nicht einfach die Stücke, die alle von dir hören wollen«, sagt er schließlich. »Ich zum Beispiel kriege dauernd Anfragen für Gershwins Rhapsody in Blue, aber ich möchte meinen eigenen Weg gehen und den Status Quo in Frage stellen. Wenn du einfach das machst, was von dir erwartet wird, bist du schnell nur noch der Pianist, der in die Fußstapfen der Großen vor ihm tritt. Als die New York Philharmonic mich für die Rhapsody in Blue angefragt hat, habe ich das kategorisch abgelehnt. ›Nicht mit mir‹, habe ich gesagt. ›Ich werde stattdessen Gershwins Klavierkonzert in F-Dur spielen!‹«

Auch abseits von Programmdiskussionen nimmt Playerson kein Blatt vor den Mund. 2019 sprach er sich öffentlich für die Ehe für alle aus. Auch andere kontroverse Themen scheut der Pianist nicht. So nutzte er beispielsweise die Plattform Twitter, um abends nach einem langen und harten Probentag den Standpunkt zu verbreiten, dass er die Abschaffung der Sklaverei in den USA durch Abraham Lincolns Emanzipations-Proklamation nach wie vor für eine gute Sache hält.

»Ich fühle einfach eine Verpflichtung, die Dinge beim Namen zu nennen«, meint Playerson. Er wirkt beherrscht, nur  ein Hauch von Verzweiflung in seiner Stimme verrät seine Ungeduld mit diesem Thema. »Ich meine: Klassische Musik ist eine universelle Sprache, egal ob aus dem Österreich des 18. Jahrhunderts oder dem Deutschland des 19. Jahrhunderts … Niemand, der sich der klassischen Musik verschrieben hat oder es auch nur liebt, diese Musik zu hören, würde je einem anderen Menschen ein Haar krümmen können.«

Mit seinen starken moralischen Kompass und seinem enormen Fingerspitzengefühl ist es wenig verwunderlich, dass Playerson auch eine junge hippe Generation von Klassikhörern anspricht. Ich frage ihn nach seinen Plänen für die Zukunft.

Er lächelt schüchtern und schiebt sein leeres Latte-Macchiato-Glas vorsichtig über den Tisch. »Ich möchte unterschätzter Musik eine Bühne geben«, sagt er schließlich, und zeigt dabei dieselbe scheue Verletzlichkeit, die die New York Times bei seinem Debüt in der Carnegie Hall so lobend hervorhob. »Ich arbeite im Moment an allen 32 Sonaten von Beethoven – sie werden sonst wirklich sträflich vernachlässigt. Die Hammerklaviersonate zum Beispiel ist ein echter Rohdiamant. Und mit Beethoven kann ich mich einfach total identifizieren – so leidenschaftlich wie er war, und so kompliziert. Ich hoffe, dass ich irgendwann die Möglichkeit bekomme, wirklich alle seine Sonaten aufzunehmen.«

Ein kühnes, beinahe unerhörtes Unterfangen, das dennoch wie geschaffen scheint für einen wie Key Playerson. ¶

Sharon Su

… wurde schon einmal als »sowohl sympathisch als auch wahnsinnig talentiert« beschrieben. Sie ist Pianistin und lebt in Los Angeles.