Als Simon Rattle 2005 im Rahmen einer Ostasien-Tournee der Berliner Philharmoniker prophezeite, die Zukunft der klassischen Musik liege in China, blieb unklar, was genau er unter dieser Zukunft verstand. Den Absatzmarkt, die große Zahl junger Hörer*innen und Musiker*innen, die Ausbildung einer lebendigen Musikkultur, neue Kompositionen? Sein Ausspruch schien bei vielen in jedem Fall ein ungläubiges Schaudern auszulösen. Bis heute mischen sich in den westlichen Blick auf klassische Musik in China zwischen Superlative (50 Millionen Lang Lang nacheifernde Klavierschüler*innen!) und Exotismus so manches Ressentiment und Stereotyp. »Wir wissen alle, wie gut das Kopieren in China funktioniert, dort werden Autos gebaut, so gut wie ein BMW oder Volkswagen, aber um einiges billiger … es ist viel besser, die Berliner Philharmoniker mit Beethovens 1. Sinfonie nach China zu schicken, denn das ist etwas, was sich nicht nachbauen lässt«, sagte Daniel Barenboim einmal bei einem Vortrag.Dabei ist die verheißungsvolle Zukunft zumindest in einem Bereich bereits Normalität geworden: Westliche Orchester und Künstler*innen touren heute ganz selbstverständlich nach China, umgekehrt kommen immer mehr chinesische Orchester und Künstler*innen nach Europa. Einer, der bei diesem Austausch von Anfang an mittendrin ist, ist Jiatong Wu, der 1991 zusammen mit seinem Vater die erste private chinesische Event- und Promotionsagentur für darstellende Künste gründete. Seitdem bringt er europäische Orchester, Opern-, Ballett- und Theaterkompagnien nach China, umgekehrt chinesische Künstler*innen nach Europa. Ich treffe Wu in der Monkey Bar im Berliner Bikini Haus. Er kommt direkt aus Athen von einem Gastspiel der Shanghai Kunqu Opera Troupe. »Es war erstaunlich, Kun-Oper ist für die Griechen sowas von neu, es gab keine Einführung, keinen Moderator, nichts, nur Untertitel. Aber die Leute haben es trotzdem verstanden, obwohl es außer einem Tisch, zwei Stühlen und zwei Darstellern nichts auf der Bühne zu sehen gab.« Wu, der in München und Wien studiert hat, spricht fließend Deutsch mit bayrisch-wienerischem Akzent. Am Abend geht es zurück nach Peking, vorher steht noch ein Treffen mit den Leuten von den Berliner Festspielen an. Von der Terrasse der Monkey Bar geht der Blick auf das Affengehege des Zoologischen Gartens, irgendwo dahinter kauen Jiao Qing und Meng Meng, die beiden neuesten Botschafter der chinesischen Panda-Diplomatie, ihren Bambus. Wu bestellt einen Grauburgunder.
Sie haben Ihre Agentur bereits 1991 mit ihrem Vater gegründet. Stimmt der Eindruck, dass es aber erst in den letzten zehn Jahren so richtig losgegangen ist mit den internationalen Orchestertourneen nach China?
Ja, das liegt daran, dass es Privatpersonen in China erst seit 2005 erlaubt ist, internationalen Kulturaustausch zu betreiben. Vorher musste man eine Lizenz einkaufen und sich an eine staatliche Agentur andocken, um beim Kulturministerium überhaupt Auftrittsgenehmigungen beantragen zu können. Das war nicht nur teuer, sondern es gab auch so viele Regelungen der Lizenzgeber, dass einem die Hände und Füße weitgehend gebunden waren. Außerdem gab es damals in China auch keine richtige Klassikszene. 1991 existierte in Peking nur eine Spielstätte für klassische Musik, die Beijing Concert Hall. Dort fanden pro Jahr zehn Konzerte statt. Wenn man den Saal mietete, musste man erst viel Geld für Putzkolonnen ausgeben, weil alles total verstaubt war. (lacht)
Jetzt können Sie engagieren, wen Sie wollen, oder gibt es da Auflagen?
Man braucht immer noch eine Auftrittsgenehmigung, aber in der Regel ist das kein Problem, bei klassischer Musik sowieso nicht. Es gab mal einen Zwischenfall bei einem Konzert mit Björk in Shanghai, wo sie als Zugabe auf der Bühne ›Free Tibet‹ gesungen hat. CNN und BBC haben es gefilmt, es war eine Riesenwerbung für sie, aber was passiert dann? Solche Willkür killt jeden Promoter, das ist völlig verantwortungslos. So einen Fall hatte ich Gottseidank noch nie. (lacht)
Wie ist es denn bei Theaterstücken? Sie bringen seit zwei Jahren auch jedes Jahr drei Produktionen des Berliner Theatertreffens nach China.
Na ja gut, wir müssen die Texte schon ins Chinesische übersetzen und abgeben. Aber so lange man darin nicht provoziert, ›nieder mit den Kommunisten‹ brüllt oder so, ist es kein Problem. Mit den Stücken wollen wir den chinesischen Theatermachen zeigen, wie die Deutschen Theater machen. Ihr habt hier jedes Jahr 400 Neuproduktionen, bei uns wird dagegen wenig neues Theater produziert, und wenn, dann wird darin kaum unsere Gesellschaft und Geschichte reflektiert. Theater dient aber doch dazu, den Zuschauer zum Nachdenken zu bringen. Dieses Jahr hatten wir das Stück Stolpersteine des Badischen Staatstheaters Karlsruhe eingeladen. Darin geht es um die Gleichschaltung der deutschen Theater während der NS-Zeit und deren Beteiligung an der Judenverfolgung. Wie man sich nachdenklich mit der eigenen Geschichte auseinandersetzt, davon können wir viel von Deutschland lernen. Bei uns heißt es immer, ›nach vorne sehen, nie zurückblicken, das bringt nichts‹, was sehr falsch ist.
Sie sprachen davon, dass es Anfang der 1990er kaum eine Szene für klassische Musik gab, wie ist es heute?
Wir sind noch nicht dort, wo wir gerne wären, aber es hat sich viel geändert. Die ganze Hardware ist da, überall gibt es wunderschöne Konzertsäle. Aber unsere Führung muss auch kapieren, dass Hochkultur Geld kostet. Es reicht nicht, einen Saal zu bauen und zu denken, die Aufgabe sei erledigt. Das wäre so, als würde man Herrn Barenboim jetzt sagen: ›So, bitteschön, die Staatsoper haben wir für 400 Millionen Euro renoviert, also bitte los.‹ In China haben wir 70 Orchester, von denen alle zusammengerechnet so viel Budget haben wie die Berliner Philharmoniker. Nicht, dass für Kultur kein Geld ausgegeben wird, es wird sogar sehr viel ausgegeben. Aber oft fehlt das Wissen darüber, was gut ist und was nicht.
Kann man als europäisches Orchester mit einer Chinatour Geld verdienen?
Man kann es auf zwei Arten: Entweder man ist die Wiener oder Berliner Philharmoniker, dann ist die Marke so stark, dass Sponsoren einsteigen, die Werbung ist leichter, und es kommen genügend Zuschauer, die für Tickets 300 Euro ausgeben. Oder man ist ein totales No-Name-Orchester, aber superbillig, und spielt ein umgängliches Programm wie zum Beispiel Filmmusik in second, third tier cities. Da kann man Geld verdienen.
Braucht es Lokalmatadoren, um die Säle zu füllen?
Na ja, wenn man mit Lang Lang oder Yuja Wang auf Tournee geht, ist das kein Problem. Gerade sind die Warschauer Philharmoniker mit Yundi Li unterwegs, das ist überall ausverkauft. Aber neben diesen paar großen Namen wird es schon schwer, da ist es leichter, mit einem großen internationalen Weltstar zu touren, Anne-Sophie Mutter, Rudolf Buchbinder, Mischa Maisky … Aber auch da gilt: wenn es kein großer Name ist, wird es schwierig.
Ist es noch so, dass von einem Orchester aus dem deutschsprachigen Raum Kernrepertoire wie Mozart, Beethoven, Brahms erwartet wird?
Das hat sich in den letzten Jahren erweitert, ich versuche eigentlich immer, etwas Neues zu bringen. Gerade wenn wir ein gutes Orchester haben, müssen wir es auch etwas herausfordern.
Was heißt in diesem Fall ›neu‹?
Strawinski, zum Beispiel, machen wir jetzt mit Valery Gergiev in Shanghai. Valery hat mich gefragt, welches Programm ich gerne hätte, da habe ich gesagt, ›mach doch nur russisch, aber etwas Neues‹. Da hat er Strawinski vorgeschlagen. Mit einem Namen wie Mariinski und Gergiev, der brandet so stark, da kann man das durchaus machen.
Wie hat sich das Publikum entwickelt?
Unsere erste Tournee war ein Quartett aus Wien, die haben den Radetzky-Marsch zu viert gespielt. Das Publikum ist gerast vor Begeisterung. Da haben wir gemerkt, wie rar diese Musik war. Dann haben wir viele Mal das Strauss Festival Orchester nach China gebracht, die haben in insgesamt über 100 Konzerten ganz China für Walzer begeistert. Vor zwei oder drei Jahren kam nach einem Konzert eine Dame zu mir und sagte ›Herr Wu, ich möchte ihnen was geben.‹ Dann zog sie aus der Tasche eine Konzertkarte aus dem Jahr 1996 vom Bruckner Orchester Linz. Sie hat gesagt, damals habe sie die Karte gekauft, weil sie dachte, ein Bruckner Orchester würde auch Bruckner spielen. Damals haben wir im Vorfeld lange diskutiert, ›Mensch, Bruckner, den kennt doch kein Schwein, wenn wir jetzt mit Bruckner 6 oder 7 anfangen, da hauen die Leute ab, das geht nicht.‹ Zum Schluss haben die glaube ich Mozart gespielt und nur eine Bruckner Ouvertüre. Das war natürlich damals sehr schade, aber es ging nicht anders.
Heute geht Bruckner?
Ja, heute könnte man ohne Probleme einen ganzen Bruckner-Zyklus machen. 2010 haben wir mit der Kölner Oper in Shanghai den Ring gemacht. Damals haben wir auch lange überlegt, ›Menschenskind, der Ring, wenn dafür extra 400 Deutsche rüberkommen, mit zehn oder zwölf 40-Zoll-Hochcontainern, der Aufwand lohnt doch nicht, wenn wir den Ring nur einmal machen. Es war September, Hochsaison in Shanghai, wo auch gerade die Expo stattfand, alle Hotels waren voll, wir mussten den Saal für drei Wochen blockieren, das hat uns gekillt. Aber zum Schluss war es rappelvoll. Ich kenne Beamte, die null Ahnung von klassischer Musik haben, die haben da 16 Stunden Ring durchgemacht. Das war sehr imponierend. Die Publikumsentwicklung ist sehr rasant.
Wie setzt sich das Publikum denn zusammen?
Ich würde sagen, zwanzig, dreißig Prozent sind ältere Leute, siebzig Prozent junge. Ich erkläre es mir so, dass die über 60-Jährigen während der Kulturrevolution aufgewachsen sind, kaum Schulbildung und Möglichkeiten gehabt haben, Musik näher zu kommen. Diese Generation ist einfach verloren gegangen. Die, die heute 50 sind, haben die Öffnung miterlebt und waren immer voll beschäftigt, Geld zu machen, ein besseres Leben zu erarbeiten. Die hatten keine Zeit, ins Konzert, ins Theater zu gehen, es gab natürlich auch wenig Angebot damals. Ich würde sagen, erst mit meiner Generation, der heute 40Jährigen, haben die Leute angefangen, sich mit klassischer Musik zu beschäftigen. Meine Kinder werden damit aufwachsen, jeder bekommt heute eine Geige in die Hand, jeder Haushalt besitzt ein Klavier.
Auf welche Künstler*innen wartet China?
Einige ältere, wie Alfred Brendel, sind leider nie in China gewesen, Sokolov, der nicht gerne reist, Kissin …
Gibt es eigentlich westliche Musiker*innen, die sich mal danebenbenommen haben und jetzt in China nicht mehr gerngesehen sind?
Gibt es schon, bei einem Konzert von Anne-Sophie Mutter in Shanghai hat einmal ein Zuschauer mit Kamera und Blitzlicht fotografiert. Da hat sie aufgehört zu spielen und gesagt, ›Hey, raus.‹ Das kam in China überhaupt nicht gut an, es gab viele Kritiken mit dem Tenor ›So eine Tante. Wir verstehen, dass der Typ sich falsch benommen hat, aber den einfach mitten im Konzert hinauszuschmeißen geht nicht‹. Der Konzertmanager meinte im Anschluss zu mir, er wäre heilfroh gewesen, dass der Junge rausgegangen sei. Was wäre passiert, wenn der beinhart sitzen geblieben wäre und sich geweigert hätte, rauszugehen? Solche Dinge passieren öfter. Wenn man nach China geht, dann muss man auch flexibel sein. Als Promoter bereiten wir die Zuschauer so gut es geht auf die Konzerte vor, erklären, dass man bei klassischer Musik nicht klatscht, spricht oder fotografiert. In allen Theatern gibt es auch mittlerweile dementsprechende Ansagen vor den Konzerten. Aber es gibt immer ein oder zwei, die sich nicht dranhalten, weil sie vielleicht zum ersten Mal da sind, vielleicht vom Land kommen, das muss man dann einfach aushalten können, da braucht es Toleranz.
Im Fußball ist es so, dass viele Vereine in der Sommerpause auf Werbetour nach China fahren, weil dort ein riesiger Merchandising Markt liegt. Diese Tourneen sind bei Spieler*innen nicht gerade beliebt: Reisestrapazen und Jet Lag statt Erholung. Wie ist das denn bei Orchestermusiker*innen?
Vor 26 Jahren war es noch so, dass sich die meisten Musiker darauf gefreut haben, einmal so ein Land kennenzulernen. Damals war China noch ein Abenteuer. Heute, da viele schon mehrmals in China waren, muss es ein Geschäft sein. Für wenig Gage fährt niemand mehr hin. Aber ich habe das Gefühl, dass die Leute, die wir einladen, noch sehr gerne kommen.
Was war bisher die größte Panne?
Dieses Jahr hatten wir das Gürzenich-Orchester mit Vilde Frang. Sie hat kein Visum bekommen, weil es damals zwischen Norwegen und China politische Spannungen gab. Die Konzerte waren gut verkauft, alles war annonciert, das Orchester stand kurz vorm Boarding. Da muss man den Botschafter anrufen und sagen: ›Bitte, Vilde Frang kann doch nichts dafür‹. Gottseidank hat es dann über Bürgermeister, Botschaft, Außenministerium doch noch geklappt. Kann aber auch schiefgehen.
Wenn es Probleme gibt, dann meistens politischer oder diplomatischer Natur?
Ja, oft sind es Visasachen. Ein China-Visum muss immer im Heimatland beantragt werden, aber Musiker arbeiten ja oft international, man kann nicht immer extra nach Hause fahren, um ein Visum zu beantragen. Und dann handelt es sich auch noch um ein Arbeits- und kein Touristenvisum, was es noch komplizierter macht. Solche Dinge bereiten uns nach wie vor Kopfzerbrechen.
Von tourenden Stars aus anderen Bereichen kennt man viele Geschichten über deren Eitelkeiten und Sonderwünsche. Welche gibt es bei klassischen Musiker*innen?
Das gibt’s auch, Vengerov wollte immer seinen Fischsalat haben, Buchbinder will immer nach dem Konzert einen J&B auf Eis, das ist legitim, das macht ihn auch sehr sympathisch.
Viele sagen, dass die Zukunft der klassischen Musik in China liegt, wieso eigentlich?
Die Zukunft ist in Europa, hier ist sie Zuhause und hier wird sie auch nicht sterben. Aber in China entstand ein großer Markt von Null auf, so viele junge Leute wachsen mit klassischer Musik auf, die werden auch in dreißig Jahren noch klassische Musik mögen. Die ist ja wie eine Sucht, wenn man sie mag, dann sein Leben lang. Ich hoffe, dass China sich nicht wieder nach außen abschließt, sondern der Austausch weitergeht.
Trotzdem liest man meist immer dieselben Geschichten, wenn es um Klassik in China geht oder Journalist*innen Orchester begleiten, die 50 Millionen Lang Langs.
Stimmt, das gilt für andere Bereiche auch. Als China ein armes Land war, wurden wir belächelt, ›die Chinesen sind faul‹. Jetzt, wo wir eine Wirtschaftsmacht sind, sind wir ›die gelbe Gefahr‹.
Nerven Sie die Klischees?
Ja, die Leute reden von der ›Zukunft der Klassik‹ in China, aber die wenigsten wissen, was dort los ist. Ich zeige Ihnen mal ein Bild. (holt sein Smartphone heraus, darauf ist ein Chor zu sehen) Dieser Chor ist aus einem Dorf in Kunming, an der Grenze zu Burma, das sind Bauern, die haben keine Schulbildung. Die singen auf deutsch Beethovens Chorfantasie. Warum singen die auf deutsch? Vor 100 Jahren waren dort deutsche Missionare, die diese Tradition begründet haben. Solche Geschichten muss man erzählen. Wie stolz würde Beethoven sein! Soll man da kritisieren, die machen alles nach? Es ist alles legitim, irgendwann wird man kapieren, was die Chinesen da für eine Arbeit reinstecken, sie können naiv sein, sie können schlecht sein, aber so lange, wie sie sich bemühen, daran zu arbeiten, muss man das schon unterstützen.
Mein Eindruck ist, dass chinesische Orchester, die in Europa konzertieren, von der hiesigen Musikkritik oft negativ bewertet werden, stimmt das?
Durchaus, aber das finde ich normal. Wenn eine deutsche Peking-Oper-Kompagnie nach Peking reiste, ich weiß nicht, wie die chinesischen Kritiker darüber schreiben würden. ›Na ja, vielleicht genauso gut wie wir‹ wäre vermutlich das maximal Mögliche. Ich finde, man sollte wertschätzen, dass die Chinesen eine westliche Tradition übernehmen und versuchen, es gut zu machen. Wieso sollte ein chinesisches Orchester, in dem viele Musiker in Europa studiert haben, die genauso fleißig sind, wieso sollten die nicht Beethoven oder Brahms gut spielen können? Wenn ein Deutscher Peking-Oper falsch singt, sollen wir da schimpfen, oder nicht lieber sagen, ›Junge, toll, komm mal nach China, ich geb’ dir einen Meister‹. Kritisieren kann man immer.
Liegt dahinter auch ein Rassismus?
Rassismus ist vielleicht ein bisschen weit gegriffen, es gibt schon unfaire Kritiken. Schau, das Shanghai Symphony Orchestra hat beim Lucerne Festival gerade Standing Ovations für Schostakowitschs 5. bekommen, alle sind aufgestanden und haben geklatscht. Das war eine große Sympathiewelle, eine echte Offenheit. Ich würde niemals behaupten, dass wir besser spielen als Mariinski oder das Lucerne Festival Orchestra, das ist kein Vergleich. Aber das Konzert war voll ausverkauft, das erste Mal in seiner 80-jährigen Geschichten wurde ein chinesisches Orchester zum Lucerne Festival eingeladen. Da geht es nicht nur um die Qualität, sondern auch um die Botschaft ›China, schön, dass ihr da seid‹. Dann ist es mir egal, ob die Kritiker Rassisten sind oder nicht, gut schreiben oder schlecht schreiben.
Glauben Sie, dass sich chinesische Orchester in Europa durchsetzen werden?
Das glaube ich nicht. Andersrum ist es auch egal, wie gut ihr Peking-Oper singt, ihr habt keine Chance, an das Original heranzukommen (lacht). Aber Sympathien wird es immer geben.
Es fällt auf, dass es sehr viele asiatische Musiker*innen gibt, die talentiert und gut ausgebildet sind, und dafür im Vergleich sehr wenige asiatische Klassikstars.
Sehr wenige, ja.
Woran liegt das?
Ich glaube, das liegt weniger am Westen als an unserer Erziehung. Lang Lang und Yuja Wang sind Ausnahmen, die haben so einen harten Charakter und starken Willen, dass sie sich einfach durchgeboxt haben. So wie Lang Lang von seinen Eltern gequält wurde, das steht normalerweise kein Mensch durch. Egal wie gut man technisch ist, psychisch ist man kaputt, das ist unmenschlich, ein Kind kann sich nicht normal entwickeln, wenn der Vater es die ganze Zeit prügelt und zwingt, Klavier zu spielen. Im Westen funktioniert das genauso wenig wie in China, die Musik muss man aus Liebe spielen. Ich habe meinem Sohn auch ein Klavier gekauft, und gesagt: ›Junge, Dein Vater ist ein Promoter für Klassische Musik, schau mal, dass Du ein bisschen lernst. Ich zeige Dir ein paar Meister, das ist Onkel Lang Lang, das ist Onkel Yundi Li, das ist Onkel Buchbinder‹, aber er hat die Freude nicht, er will nicht, soll ich ihn prügeln, damit er irgendwann Lang Lang 2 ist? Die Erziehung ist in China viel zu falsch. ¶