In ihrer Dankesrede für den Oscar als beste Schauspielerin bat Frances McDormand alle weiblichen Nominierten aus allen Kategorien sich gemeinsam mit ihr zu erheben. Und das taten sie – Schauspielerinnen, Regisseurinnen, Drehbuchautorinnen. Wie viele Komponistinnen waren darunter? Obwohl es drei Frauen gab, die für den besten Song nominiert waren, standen auf der Shortlist für die beste Filmmusik nur männliche Komponisten. Das ist keine große Überraschung: Die Studie »Inequality in 900 Popular Films«, die Diversität im Film über einen Zeitraum von 10 Jahren untersucht, zeigt, dass nur 1,7 Prozent der Soundtracks von Komponistinnen stammen. In der Filmmusik sieht es also nicht anders aus als in der Klassikwelt. Hier kommt eine persönliche Auswahl der besten von Frauen komponierten Soundtracks.

Wendy Carlos

YouTube Video

Nichts für Purist_innen: Carlos’ erstes kommerzielles Album »Switched-On Bach« (1968) war eine Bearbeitung von zehn Werken des barocken Komponisten, arrangiert für Moog-Synthesizer. Aber wirklich in ihren Bann zog mich ihre Arbeit am Soundtrack von Stanley Kubricks A Clockwork Orange. In der Eröffnungsszene des Films ersetzt Carlos in einer Adaption von Purcells Music for the Funeral of Queen Mary die Trompeten des Originals durch einen verstimmten, verstörenden Synthesizer, der genauso merkwürdig klingt, wie die Szene aussieht. Während Alex und seine »Droogs« von mit Drogen versetzter Milch high werden, werden die Klangräume der historischen englischen Musik in Richtung einer futuristischen Dystopie verzerrt. Carlos unterzieht die klassische Musik, die der Protagonist des Films liebt, einer unangenehm zelebrierten Maskerade, während der Protagonist selbst seine Gewaltexzesse auf verstörende Weise zelebriert.

Vivien Kubrick/Abigail Mead

YouTube Video

Der Film Full Metal Jacket besteht in gewisser Weise aus zwei Hälften: der zuweilen fast komödiantisch wirkenden psychischen Misshandlung durch den Sergeant Hartman und der Pornografie des Krieges. Beide Seiten werden verknüpft durch den Nervenzusammenbruch und Selbstmord des Gefreiten Pyle, unterlegt mit einem Soundtrack von Kubricks Tochter, die die Filmmusik unter dem Pseudonym Abigail Mead komponierte. Es ist ein düster waberndes, filmisches Stück, das sich trotzdem weigert, den Moment, in dem Pyle »Das hier ist mein Gewehr« betet, bevor er die Waffe gegen sich selbst richtet, zu akzentuieren. Die Musik läuft einfach weiter, während Pyle tot gegen den Spülkasten einer Toilette fällt und klingt unbeirrt von den traurigen, unausweichlichen Folgen seiner psychischen Degradierung.

Anne Dudley

YouTube Video

Für ihren Monty Python-Soundtrack gewann Anne Dudley einen Oscar, allerdings sind mir ihre Kompositionen für American History X noch sehr viel lebhafter im Gedächtnis geblieben. Dudley macht aus der nicht-linearen Erzählung des Films eine Erlösungsgeschichte. In der berüchtigten Bordstein-Szene wählt sie nicht den einfachen Weg, die pure Gewalt abzubilden, sondern verweist auf die weitergefassten Motive des Films – das zahlt sich aus.

Jocelyn Pook

YouTube Video

Es mag meinen persönlichen Geschmack wiederspiegeln, oder vielleicht liegt es daran, dass seine Filme einfach gute Musik garantieren, aber hier kommt ein weiteres Stück einer Komponistin, ohne die Kubrick nicht ausgekommen wäre: die rückwärts abgespielten, rumänisch-orthodoxen liturgischen Gesänge und Streicher in Pooks Backwards Priests, das sie für Eyes Wide Shut überarbeitet und vereinfacht hat. Das Stück ist eine Unterwanderung des Rituals – ein liturgisches Lied, komponiert für die Zeremonie einer maskierten Orgie. Die produktive Komponistin, Pianistin und Violinistin hat einiges geschrieben, aber die Film-Version des Stückes ist wohl eines ihrer besten Werke.

Mica Levi

YouTube Video

Letztes Jahr war Mica Levi für ihren Soundtrack zu Pablo Larraíns Jackie für den Oscar nominiert. Es ist jedoch die Musik für Under the Skin, die sie produzierte, als sie 26 Jahre alt war, die in mir eine klangliche Analogie zu Nervenschäden entwickelt und ihr einen Platz in dieser Playlist sichert. Under the Skin ist ein auffällig einfach gehaltener Film, nur der Soundtrack verwandelt Scarlett Johansson von einer im Auto vorbeifahrenden Frau in ein nicht von dieser Welt stammendes Raubtier, das Männer in merkwürdige Tode lockt. Immer, wenn sie auf der Jagd ist, hören wir dieses Stück: schmerzvoll, repetitiv, zum Fürchten. Als ich es hörte, war ich allein zu Haus und blickte immer wieder auf den Spalt unter der Tür, um zu sehen, ob ich auch wirklich allein war. ¶