Irgendwie … unverheiratet
Ein zweiter Blick auf Plattencover

Dieter C. Schütz, Professor für Kulturwissenschaften, kommentiert das Aussehen einiger Neuerscheinungen der letzten Monate.

 

Protokoll Alex Ketzer

David Fray, Schubert: Fantaisie; Erato/Warner Classics

Hier wird das Porträt des Interpreten über den Schubert gestellt. Im Grunde sieht der Interpret so aus, als sei er ein gegenwärtiger Schubert: Mit diesen langen Haaren, genialisch nachdenkend in einer Schwarzweiß-Aufnahme, etwas rätselhaft ins Halbdunkel gestellt. Ich sehe die Kontinuität zu klassischen Karajan-Aufnahmen: Streng und – bis auf die beiden stilisierten, quer gelegten Violinschlüssel – klassisch gemacht.

Spark, Wild Territories; Berlin Classics

Seit mittlerweile 25 Jahren habe ich mich daran gewöhnt, dass Ensembles auch in Fabrikhallen spielen und dass man sich in diesen ungenutzten Fabrikhallen auch fotografieren lässt. Ich vermute aber, dass auf dieser CD keine klassische Musik ist – und wenn, dann muss es modern interpretierte klassische Musik sein. Die Type, in der der Bandname gesetzt ist, gefällt mir überhaupt nicht. Die vermute ich eher bei einem Horrorfilm. Das Bild wirkt eisig und kalt. Ich mag auch diese glänzenden, vermeintlich seidenen, Stoffe bei den Musikern nicht; habe den Eindruck, als kommuniziere das Cover die unvermutete Wildheit einer Musik, bei der wir das nicht vermuten. Andererseits glaube ich, dass hier die Interpretation wichtiger genommen wird, als die musikalische Vorlage. Das heisst, die Band stellt sich mit ihren wilden Visionen in den Vordergrund. Die Musik ist eigentlich gar nicht so wichtig.

Ramón Ortega Quero, J. S. Bach: New Oboe Sonatas; Berlin Classics

Diese Gestaltung halte ich für sehr konventionell. Schon das Motiv: in einem Sessel sitzend die Oboe in der Hand halten und den Betrachter ansehend. Auch so etwas salopp das linke Bein über die Armlehne zu legen – das kennen wir etwas verhaltener und einfacher auch von Anne-Sophie Mutter. Das gleiche betrifft den Umgang mit der Typografie. Das ist eine Art, die wir seit 30 Jahren gewohnt sind.

Nemanja Radulovic, Journey East; Deutsche Grammophon

Bei dieser CD fällt mir auf, dass ich zwischen dem, was mir persönlich gefällt – weil ich so in der Rezeption sozialisiert bin, und dem, was mir an Gelerntem zu gefallen hat – weil es modern ist und dem Publikum entspricht, trennen muss. Ich bin sicher, dass es gut gemacht ist, verspüre auch Lerneffekte und finde es irgendwann dann selbst gut.

Das Cover hat etwas Trashiges: die Buchstaben hüpfen ein bisschen hin und her und es ist ein stiefeltragender Geiger zu sehen, der in einer Positur dasteht, die neuerdings üblich ist. Er geigt nicht im Konzertsaal und steht auch nicht über der Notation und schaut sich diese an, sondern er wirkt wie bei einem Tanz. Das ist aber seit David Garrett so üblich. Das finde ich gut und ich bin sicher, dass die Gestaltung dazu geeignet ist, ein neues Publikum für diese Musik zu gewinnen. Das legitimiert die Gestaltung. Deswegen können auch Leute wie David Garrett oder Lang Lang überleben.

Matt Haimovitz, Christopher O’Riley: Beethoven, Period.; Pentanone (Oxingale Series)

Einen Hafeneinfahrt also: das ist etwas zu sehr platt romantisch. Ich finde nicht, dass die Beethoven-Sonaten es nötig haben, durch einen Sonnenuntergang an einer Hafeneinfahrt vermittelt zu werden. Und die einzelnen Buchstaben, aus denen sich das Wort »Beethoven« zusammensetzt, so vermeintlich verteilt, aber von oben nach unten doch lesbar – auf der Fläche stehend, mit vertikalen Strichen links und rechts daneben, die vielleicht die Länge eines Musikstücks ausmachen, also eine gewisse Erinnerung an eine abstrahierte Form der Notation sind –, das zusammen ist platt und nicht gut gestaltet. Die Schrift gefällt mir jedoch sehr gut.

Anna Netrebko, Staatskapelle Berlin: Richard Strauss: Vier letzte Lieder; Deutsche Grammophon

(Lacht) Klasse! Vielleicht mag das auf Anhieb irritieren, dass ich dieses Cover der Strauss-Lieder – von der Netrebko gesungen – für angemessen halte. Sie läuft hier im langen Schleier durch den Schnee und blickt uns ein bisschen leidend an. Ich finde es aber völlig legitim, dass es ein wenig monumental inszeniert ist. Die Type ist angemessen gesetzt und – raffiniert würde ich es nicht nennen, aber – es ist sehr schön, dass die Farbe ihres Namens der Gewandung entspricht. Das passt zur Netrebko. Das ist Weltklasse. Sie ist die beste Sängerin, die wir im Augenblick haben.

Ulrich Stötzel, Hannoversche Hofkapelle, Collegium Vocale Siegen Telemann: Festive Cantatas; Hänssler Classic

Hier geht es jetzt um die festlichen Kantaten von Telemann, die bei Hänssler Classic – einem visuell eher jenseitigen Label – erschienen sind. Das Cover wirkt so, als sei ein Fresko mit musizierenden Engeln aus dem 18. Jahrhundert abgebildet. Es ist nicht mal ein bekanntes Bild – jedenfalls kenne ich es nicht. Ich finde es ziemlich unangemessen und kitschig, wie mich diese leidenden Engel beim Musizieren ansehen.

Arianna Savall, Petter U. Johansen: Hildegard von Bingen: Vox Cosmica; Carpe Diem

Das ist eine geradezu akademische Gestaltung, die Seriosität vermittelt – auch auf den Seiten des Booklets. Es ist etwas trocken, als sei es ein wissenschaftlicher Verlag, der schlecht finanzierte Dissertationen herausgibt. Aber ich könnte mich daran gewöhnen und finde besonders schön, dass sie einen hohen Wiedererkennungswert haben – die »Arbeiten« aus dem Carpe Diem »Verlag«. Irgendwie hat das was vom Nachkriegszeit-Design der 50er Jahre. Ein wenig wie Willy Fleckhaus mit der Suhrkamp-Reihe oder Wilberg und später Forssmann mit der Reclam Universalbibliothek: Sehr klassisch eben.

Andreas Bach: Béla Bartók: Gesamtwerk für Klavier solo, Vol. 1 – Der reife Bartók; Hänssler Classic

Irgendwie … unverheiratet: Die obere Hälfte ist in Ordnung und die untere Hälfte ist auch in Ordnung. Aber beide Hälften passen nicht zusammen. Die untere erinnert an Astrud Gilberto und die Talkin’ Verve-Cover aus den 50er-/60er-Jahren – also brasilianischer Beat. Und das obere wirkt ein bisschen modern mit der »01« in den eckigen Klammern. Beide haben ihre Legitimation, aber zusammengefügt wirkt das eher wie eine Collage mit zu vielen Ebenen – gerade auch wegen der beiden Logos oben und unten, die einfach viel zu viel sind. Die Rückseite ist genauso unruhig wie die Vorderseite. Und was der Kreis da soll, verstehe ich auch nicht – als wäre es der Ausschnitt einer Schallplatte. Die Type ist toll: Schwer, aber sitzt gut.

2Cellos: Celloverse; Sony Music (Masterworks)

(Lacht) Zwei Lederjacken-bekleidete, halbfigurige Herren blicken den Betrachter des Covers an und halten ihre Celli auf der Schulter – so als seien sie Möbelpacker oder Wandersmänner. Das finde ich eine etwas krampfhafte Form der Aktualisierung. Und besonders albern finde ich, dass sie es unter einem Planeten machen, der formal ein bisschen das Gehäuse des Holzinstrumentes aufgreift. Das ist weder legitim noch gut – fast schon geschmacklos. Das Braun des Instruments und der Jacke des linken Cellisten passt nun überhaupt nicht zu seinem schwarzen Hemd. Und dann dieser sphärische Hintergrund … »20Cellos« und das »E« ohne Stamm – das ist nicht musikalisch. Habe ich gerade »20Cellos« gesagt? Da bemerkt man die Freudsche Fehlleistung wegen des runden »C« eine »20« lesen zu wollen. Genau genommen heisst der Plural von Cello auch nicht »Cellos«, sondern »Celli«. ¶