Der Regisseur Daniel Kutschinski über das Quatuor Ébène
Sein Dokumentarfilm 4 nähert sich dem französischen Streichquartett Quatuor Ébène nicht vom Konzerterlebnis her; der Film hält den Blick auf das Leben der vier hinter den Kulissen fest. Gleich in der ersten Szene wird das deutlich: Als Zuschauer verfolgt man das Ende eines Konzerts und den Beifall auf dem Monitor eines Inspizienten-Platzes. Erst als die vier die Bühne verlassen, bewegt sich die Kamera in den angrenzenden Flur, wo die Musiker mit launigen Bemerkungen über einen Zuhörer im Publikum auftauchen.
Daniel Kutschinksi, wie kommt man auf die Idee, einem Streichquartett so nahe zu treten?
(lacht) Gute Frage!
(Kleine Pause) Ich kannte die Ébènes zunächst als Konzertgänger und habe sie dann Zigarette rauchend vor den Konzertsälen persönlich kennengelernt. Man spricht ein paar Worte und merkt schnell, dass man sich gut versteht. Und daraus entstand eine Freundschaft, die sich über etliche Jahre entwickelt und vertieft hat. Ich war und bin einfach begeistert von diesen vier Persönlichkeiten, von den großartigen Musikern und wollte sie noch besser kennenlernen. Und so ergab sich die Idee zu einem Dokumentarfilm.
Wann haben Sie dem Quatuor Ébène von dieser Idee erzählt?
Mein ›Antrag‹? Das war 2010, nach einem Konzert. Und ich habe einfach gefragt und die Antwort kam sofort! ›Ja!‹ (lacht) Sie hatten sich eigentlich schon lange gewünscht, dass man diese Seite ihrer Existenz auch einmal wahrnimmt. Und so haben sie sich gefreut, eine solche Möglichkeit zu bekommen. Sie wollten gern zeigen, wie sich diese Musiker-Wirklichkeit anfühlt. Sie waren bereit, dem Kinopublikum etwas von sich preiszugeben, was für den normalen Konzertbesucher sonst nicht erlebbar ist.
Wie haben Sie dieses Projekt geplant?
Das ist bei einem Dokumentarfilm immer eine komplizierte Angelegenheit, vorausgesetzt, man möchte einen echten und keinen scheinbaren Dokumentarfilm drehen, bei dem in Wirklichkeit doch alles abgesprochen wurde: was, wann bitte passieren soll. Kameramann Arnd Buss-von Kuk und ich haben uns für einen rein beobachtenden Film entschieden – und da weiß man natürlich nicht, was man bekommt. Grundsätzlich gab es einen Hauptdreh in Italien von zwölf Tagen im Februar 2012 während einer Tournee. Aber die Dreharbeiten erstreckten sich insgesamt über einen Zeitraum von anderthalb Jahren. Wir hatten dann ohne Konzertaufnahmen 80 Stunden Material. Und doch zählt jeder Moment, den man aufnimmt, denn man muss sofort Entscheidungen treffen: Wie gehe ich mit dem um, was sich vor der Kamera gerade zugetragen hat? Man muss schnell erfassen, was der Moment eigentlich erzählt, welchen tieferen Sinn er für die gesamte Narration bergen kann. Das funktioniert nur, wenn man sehr intuitiv miteinander verknüpft ist, mit den vier Musikern und mit dem Filmteam.
Aus 4
Wie groß war Ihr Team? Manchmal hat man im Laufe des Films das Gefühl, dass außer den Leuten vor der Kamera überhaupt niemand im Raum ist und man selbst nur zufällig Zeuge wird.
Nun, wir waren oft in der Überzahl! Die Ébènes waren dann regelrecht von uns umstellt. Die kleinste denkbare Variante war, dass wir im Filmteam zu dritt gearbeitet haben, also Kamera, Ton und ich. In den meisten Situationen bestand das Filmteam aus sechs, sieben Leuten. Und damit ist das Quartett völlig frei umgegangen. Seltsamerweise hatten sie damit überhaupt kein Problem.
Gab es Situationen, in denen das Quartett der Crew zu verstehen gab: Wir brauchen jetzt einen Moment für uns allein?
Das gab es nie. Es gab nie den Satz: ›Jetzt bitte nicht.‹ Das ist ein unglaubliches Vertrauen, das sie uns als Filmteam geschenkt haben. Das passt aber auch zu ihrer großen Wahrheitsliebe, dem Anspruch, nichts zu filtern. Die Ebénes haben diese ›Nichtzensur‹ und diese Nähe zugelassen, weil sie gespürt haben, dass wir das Quartett niemals vorführen würden.

Im Film wird auch gezeigt, wie das Quatuor Ébène seinen Lehrer besucht. War das von vornherein ein geplanter Bestandteil?
Es war den Ébènes ganz wichtig und auch selbstverständlich, ihren Mentor, den Pädagogen Eberhard Feltz, in die Geschichte mit aufzunehmen. Es ist Tradition, dass sie immer wieder zusammen arbeiten. Und das finde ich wirklich außergewöhnlich an dem Quartett. Dass sie, die alles erreicht haben, Auszeichnungen erhielten, Renommee genießen, die regelmäßig Anerkennung und Liebe durch das Publikum erfahren, sogar selbst zu diesem Zeitpunkt einen gemeinsamen Lehrstuhl für Kammermusik an der Colburn School in Los Angeles innehatten – dass sie sich nicht als Lehrende zeigen, sondern als Ratsuchende zusammen mit ihrem Mentor: ›Wir haben noch Fragen, die wir nicht nur uns selbst stellen, sondern die wir an jemanden weitergeben müssen, weil wir keine musikalischen Antworten haben.‹
Das Quatuor Ébène spielt Beethovens Streichquartett No. 13 in B-Dur op. 130
Ihr Dokumentarfilm zeigt immer wieder Probenabschnitte – das Ringen um das richtige Tempo, die richtige Gestaltung eines sehr kleinen Melodieabschnittes. Dagegen tauchen die engen Vertrauten der vier, ihre Familien, niemals auf.
Das ist ein Teil ihrer Realität. Die Familien sind durch ihre Abwesenheit eigentlich permanent anwesend. Das Quartett hatte während eines Jahres insgesamt 120 Konzerte. Das sind nur die Abende, die da gezählt werden – nicht aber die An- und Abreisetage! Da kann man sich vorstellen, wie schwierig der Kontakt mit den eigenen Familien war. Und es ergibt sich ganz zwangsläufig, dass sie nicht dabei waren und auch nicht zu sehen sind. Und man soll sich ja auch durchaus fragen: Wie viel Zeit bleibt dafür noch? Umgekehrt soll das auch nicht zu sehr interessieren, der Film hat das Verhältnis der vier Musiker zueinander zum Thema – nicht deren private, intime Beziehungsgeschichten. Das war nicht meine Intention.
Beim Näherrücken an die vier Musikerpersönlichkeiten merkt man, wie unterschiedlich sie sind und wie viel Konfliktpotential in der permanenten Nähe eines Streichquartett-Verbundes liegt. Waren Sie manchmal erschrocken und dachten: Hier nehme ich das Ende der Quartettgemeinschaft auf, zum Beispiel, wenn in einer Szene heftig die Türen knallen?
Da sind wir bei einer ganz wichtigen Szene. Es gibt einen Abschnitt, in dem man den Abbau der Bühne miterlebt. Das Publikum verlässt den Saal, ein Techniker rollt Kabel zusammen. Dabei kommt es zu Verrückungen der Position der vier Stühle. Es passiert etwas, aber nicht viel. Die Aufmerksamkeit wird auf den Ton gelenkt: Während nämlich die Bühne demontiert wird, hört man eine heftige Auseinandersetzung der vier.
Eine andere Szene zeigt die Musiker, wie sie im Dunkeln in einem italienischen Hinterhof lautstark über ihr Spiel diskutieren. Das wird von manchen Zuschauern als Streit wahrgenommen. Aber: sie beherrschen ja die ganz große Kunst des Disputes. Wie sie sich gegenseitig Sachen sagen können, ohne dass es der Beziehung zu viert schadet, dass es ihr am Ende sogar gut tut – das ist im Grunde auch eine ganz ungewöhnliche Liebeserklärung.
Aus 4
Ihr Lieblingsmoment im Film?
Unter anderen in genau der Streitszene, die ich gerade erwähnt habe. Da gibt es einen gesenkten Blick, der mich jedes Mal sehr berührt. Das muss man aber auf der Leinwand sehen, davon will ich nicht weiter reden…
Wie haben die Musiker den Film aufgenommen?
Die Ébènes haben den Film im Laufe seiner Entstehung drei Mal gesehen, auch zu meiner eigenen Rückversicherung. Und es gab kein Veto. Auch das gehört zu der Größe des Quartettes: Sie nehmen sich so an wie sie sind und lassen es zu, dass wir das so zeigen. Beim Schnitt gab es immer wieder die Neugier auf das, was entsteht. Es war wunderbar – eigentlich ein Ritterschlag! – als der Cellist Raphaël Merlin sagte: ›Das ist das Testament unserer Beziehung.‹
Letzte Frage: Erkennen Sie die Aufnahmen des Quatuor Ébène allein beim Hören?
Sofort. Von der ersten Note an. ¶