Hayden Chisholm – Welt im Jazz

Ein Interview mit dem Komponisten, Welt-Musikforscher, Jazz-Saxofonisten, Dokumentarfilmprotagonisten und Improviser in Residence

 

Interview Hartmut Welscher

 

Hayden Chisholm ist Jazz-Saxofonist, -klarinettist und Komponist, als solcher gewinnt er Preise und Stipendien – derzeit ist er zum Beispiel Improviser in Residence beim Moers Jazz-Festival. Bei einem Blick auf seine Arbeit scheint es aber, als ob er Jazz bisweilen nur als Prinzip, als Portal benutzt, für Stile, Techniken, Kollaborationen und Instrumente aus der ganzen Welt auf der einen, für seinen eigenen persönlichen Stil auf der anderen Seite. Er arbeitet in Ambient-Projekten, Kunstinstallationen, in elektronischer Avantgarde, seine Partner waren und sind die Künstlerin Rebecca Horn, Marcus Schmickler, Antonis Anissegos, David Sylvian, Burnt Friedman, Jaki Liebezeit, unter anderem. Und er ist das Gesicht des 2012 erschienenen Dokumentarfilms und Roadmovies Sound of Heimat, einer Reise durch deutsche Musiktraditionen. Dort begegnet er all den Menschen und Gruppen, der naturverbundenen Melancholie wie dem subversiv Skurrilen, dem knorrigen Stolz und dem exaltiert Lustvollen, mit einer solch neugierig-wertschätzendem Haltung, dass sich so etwas wie Liebe einstellt beim Blick auf die deutsche Heimatmusik, angesichts der umständlichen Gesten und Worte, die man sich sonst so abringt.

Im ostfranzösischen Quincerot gibt Hayden gerade einen Meisterkurs für Saxophon, wir haben uns mit ihm zum Telefonat verabredet. 


VAN: Was steht als Nächstes bei dir an?

Hayden Chisholm: Im August gebe ich im griechischen Agios Lavrentios auf der Pilion-Halbinsel schon zum zehnten Mal einen Meisterkurs, den bereite ich gerade vor. Jeden Sommer treffen sich dort Musiker/innen aus Griechenland, dem Mittelmeerraum, dem Balkan. Es gibt spontane Konzerte in Wohnungen und auf den Gassen, griechische Musik, bulgarische Musik, Balkan-Folkloren, aber auch Neue Musik, Renaissancemusik, Tanz- und Puppentheater. Diese Mischung macht es für mich wahnsinnig interessant, dort nehme ich immer viel mit.

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Wie nimmst du die Situation und die Haltung der Musiker/innen in Griechenland in der aktuellen politischen und ökonomischen Lage wahr?

Die Musiker/innen, die ich kenne, sind ganz gut vernetzt und durch Familie und Freundeskreise einigermaßen sozial abgesichert, aber hinsichtlich bezahlter Aufträge und Auftrittsmöglichkeiten sieht es gar nicht gut aus.

Du bist ein Weltreisender in Sachen Musik. Wie hat das angefangen?

Ich hatte das Glück, dass meine Eltern schon mit mir unterwegs waren als Kind; mein Vater war als Ingenieur in Australien und den USA, und noch vor der Musik hat mich das Reisen begeistert, das Kulturen und Sprachen Kennenlernen. Ich bin in Neuseeland nicht mit einer ausgeprägten Musikkultur aufgewachsen, dominant erlebte ich nur die schottische Auswandererkultur (in Neuseeland soll es mehr Dudelsackspieler als in Schottland geben, auch Hayden Chisholm spielt das Instrument). Ich bin dann mit 17 weg und habe in Deutschland Musik studiert und habe soviel mitgenommen wie ich konnte. 

Welche Verbindung hast du zur Maori-Tradition in Neuseeland?

Da hat sich eigentlich erst in den letzten Jahren ein Bewusstsein und Wissen bei mir entwickelt, vor allem über die Arbeit des wunderbaren Richard Nunns, der dazu viel forscht und die taonga pūoro, die traditionellen Instrumente der Maori, wiederentdeckt und aus den Museen befreit hat. Es gibt diesen Dokumentarfilm, Voices of the Land von Paul Wolffram, in dem Richard Nunns zusammen mit dem Maori-Musiker Horomona Horo an verschiedenen Plätzen in Neuseeland Maori-Musik aufführt. Zu meiner Jugend war das total unbekannt, man kannte vielleicht die Sprache, aber die Musik gar nicht. 

https://vimeo.com/101280543

Gibt es eine Tradition, die dich besonders geprägt hat und durch die sich dein Spiel besonders verändert hat?

Es dauert für mich lange, Spielweisen und Stile zu verinnerlichen. Mir kommt es ja nicht darauf an, einfach etwas zu imitieren oder ›authentisch‹ zu spielen. Es geht mir mehr um meinen persönlichen Klang. Es hat zum Beispiel Jahre gedauert, bis ich die Verzierungen und Feinheiten, die ich in meinem Studium der Karnatischen Musik in Chennai (Madras) gelernt hatte, in meine eigene Improvisationssprache einbringen konnte, ähnlich ging es mir auch mit der japanischen Flötenmusik, deren Struktur vielleicht einfach ist, deren Klangspektren mich aber immer wahnsinnig fasziniert haben.

Wie können Musiker/innen verschiedene Stile und Traditionen mixen, ohne sie zu verkürzen, oder Klischees zu zementieren?

Ich glaube, dass in der Musik Universalien existieren, und es ist immer wieder sehr schön, diese zu erkennen und zu erfahren. Natürlich gibt es unzählige Beispiele einer beliebigen Mischung von x und y, aber wenn man aufeinander eingeht und nicht auf den »kleinsten gemeinsamen Nenner« aus ist, entstehen oft wunderschöne Momente, oft nicht unbedingt im Konzert oder auf A
ufnahmen, sondern spontan. Dazu gehört natürlich Arbeit und oft auch ein wenig Glück. Viele wunderschöne Erinnerungen habe ich an Begegnungen auf dem Earth Festival in Kenya, wo ich 2006 und 2007 Festivaldirektor sein durfte, aber auch in meiner Kooperation mit der portugiesischen Fado-Sängerin Lula Pena gibt es immer wieder solche Momente. 

Der Musikethnologe Mantle Hood zeigt in seinem Buch The Evolution of Javanese Gamelan, wie die westliche Pädagogik der staatlichen Konservatorien in Indonesien die Gamelan-Musik im Laufe des 20. Jahrhunderts verändert hat, und vor allem durch die Betonung des Auswendiglernens nachhaltig in die Art der Improvisation eingegriffen hat. Auf deinem Blog habe ich gelesen, dass du dich auch kritisch mit der institutionalisierten Ausbildung im Jazz auseinandersetzt. In der Klassikkultur gibt es ja seit Jahrzehnten schon eine Debatte darüber, ob, wann und warum »klassische Musik« ausstirbt. Gibt es ähnliches eigentlich auch im Jazz?

Ja, es gibt schon eine sehr heftige und teilweise auch boshafte Diskussion, in der es darum geht, was eigentlich Jazz ist und ob der »wahre« Jazz durch die Hochschulgeschichte und Institutionalisierung seinen Spirit verloren hat. Andererseits muss man sagen, dass Jazz immer wahnsinnig schnell in Bewegung war, auch den aktuellen Zeitgeist reflektierend und kommentierend. Gerade in den Grenzbereichen von improvisierter Musik, Jazz, Neuer Musik – da passiert heutzutage so viel, dass man es fast nicht mehr verdauen kann, da muss man ganz genau hinschauen, um nicht überwältigt zu werden. Als jemand, der in Köln wohnt, fasziniert mich zum Beispiel die Arbeit des Ensemble Musikfabrik sehr, weil sie künstlerisch so konsequent ist.

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Gibt es sonst noch Ähnlichkeiten zwischen der aktuellen Klassik- und Jazzkultur?

Wenn es darum geht, was man tun muss, um kommerziell erfolgreich zu sein, gibt es auf jeden Fall Vergleichbarkeiten, zum Beispiel die Inszenierung des eigenen Egos oder auch die Art, wie die Labels und Promotion-Agenturen arbeiten. Ich habe persönlich immer viel Wert auf Inhalt gelegt, und das versuche ich auch meinen Studenten zu vermitteln. Für mich ist diese Musik eine sehr wichtige, fast schon heilige Kunstform, die ich schützen will. Wenn man bekannt werden will, muss man etwas anders rangehen, aber das ist nicht etwas, wo ich persönlich Wert drauf liege. Ich versuche aber, nicht allzu viel Energie darauf zu verwenden, was alles schief läuft, sondern mich mehr auf meine eigenen Sachen zu konzentrieren. 

Bis zu welchem Grad muss man trotzdem Kompromisse eingehen?

Das ist eine wichtige, schwierige Frage. Man muss auf jeden Fall Kompromisse eingehen, um überhaupt zu überleben, aber auch wählerisch sein, mit wem man spielt und was man spielt, immer weiter arbeiten, nie aufhören. Es ist heute wahnsinnig schwer geworden, durchzublicken oder zusammenzufassen, damit müssen auch die jungen Musiker irgendwie klarkommen.

Was sagst du diesbezüglich deinen Studenten?

›Versucht, möglichst viel neue, verschiedene Musik zu spielen und auch zu komponieren. Das Instrument Saxophon erlaubt so viel.‹ In dieser Phase des Studiums, zwischen 20 und 25, sollte man es so weit treiben, wie es geht. Danach ist dann jeder ein bisschen auf sich gestellt, es ist nicht einfach, und ich glaube es wird auch nicht einfacher. Man muss als Jazzmusiker heute sehr beweglich und flexibel sein, nicht nur Konzerte geben, auch unterrichten, von Plattenverkäufen verdient man gar nicht mehr. Vieles ist im Umbruch, man muss sehr schnell improvisieren, da haben die Jazzmusiker vielleicht etwas bessere Karten als klassisch ausgebildete Musiker. ¶

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