Der »Empfindsame Stil« leistete sich zur literarischen Sturm-und-Drang-Zeit krasse kompositionsgeschichtliche Neuerungen. Schrieb man im gediegenen Barock noch häufig gelehrsam, kontrapunktisch astrein und mit Blick auf den (perlenden) Fluss, so wurden bei den »Empfindsamen« überraschende Pausen, staunenmachende Laut-Leise-Kontraste und tränen- und schweißgetränkte Seufzermotive zu Kennzeichen des neuen Stils. Interessierten sich Königinnen und Könige, Fürstinnen und Fürsten […]
Kategorie: Interpretationsvergleich
Die Möglichkeit einer Insel
Oder: eine unnötige Kreuzfahrt in e-Moll. Drei Einspielungen des Cellokonzerts von Edward Elgar, abgehört von Arno Lücker. Text · Titelbild Kris Chapman (CC BY-NC-ND 2.0) · Datum 9.10.2019 Hierzulande halten sich diverse Klischees über englische Musik und englische Komponist*innen. Entsprechende Insulaner des 20. Jahrhunderts etwa, wie Benjamin Britten, seien nie wirklich »modern« gewesen, die Musik […]
Gezackte Mannheimer Rakete
Titelbild SpaceX via Unsplash »Mannheimer Raketen« sind »raketenartig« aufsteigende Tonfolgen, die gerne als Themen von Symphonien oder Sonaten gleich am Anfang abgefeuert werden (okay, besser: wurden). Wegen Aufmerksamkeit und so. Derartige Gebilde hatten Mitte des 18. Jahrhunderts am Mannheimer Hof des pfälzischen Kurfürsten Karl Theodor Hochkonjunktur. Karl Theodor beschäftigte die avantgardistischsten Musiker ihrer Zeit, darunter […]
besser bockig
Doppelbödigkeit, Wankelmut, die Zweiheit in der Einheit… Schöpfer von Musik umgibt seit jeher die Aura des Zwiespältigen: Gut oder Böse? Freund oder Feind? Geliebter oder Totschläger? Göttliche Vokalmusik komponierte der Eifersuchtsmörder seiner Frau Carlo Gesualdo. Ludwig van Beethoven galt als Misanthrop, der Schiller-Schlusschor seiner neunten Symphonie dagegen als menschheitsumarmende Vision einer besseren Welt. Franz Liszt […]
»Anbetung: jetzt!«
Felix Mendelssohn Bartholdys Musik ist, so kann man sagen, die perfekte Kombination von Barock, Klassik und Romantik: die von Bach gelernte Kontrapunktik, dessen großangelegtes geistliches Drama in eigener Ausformung (gipfelnd in Paulus und Elias), die beseelte Spritzigkeit, der melodiöse Feinsinn Mozarts und emotionale Ausbrüche à la Schumann – nur weniger (lieb gemeint) wirr; als Teil […]
Durch die Brahmsverwobenheit georgelt.
Johann Jakob Brahms (1806–1872) spielte, hauptsächlich in Tanzlokalen Hamburgs, Kontrabass und Horn, um das Leben seiner nicht gerade wohlhabenden Familie zu finanzieren. Sein 1833 geborener Sohn Johannes erhielt mit sieben Jahren erste Unterrichtsstunden am Klavier, hinzu kamen Unterweisungen im Violoncellospiel. Horn, Kontrabass und Klavier wurden – vielleicht bisher weniger beachtet – auf eine Weise zu […]
Nebelverhangenheitspoesiealbumstext
Der Blick zurück. Das Abschiedswinken. Die Rückschau auf ein Leben; auf das eigene, auf das von anderen; auf eine durch Tod oder Trennung – was ist eigentlich schmerzlicher? – beendete Liebesbeziehung. Der Ärger über die Formulierung »Bis dass der Tod euch scheidet«. Als bedeute der Tod des oder der Geliebten wirklich »Trennung«, geschweige denn »Scheidung«. […]
Das Borderline-Scherzo
Meist war das Scherzo der Underdog eines viersätzigen Werkes in Sonatenhauptsatzform, also beispielsweise innerhalb einer Symphonie, eines Streichquartetts oder einer Klaviersonate. Meist kurz, in einem stets schnellen, manchmal gar wilden, zumindest lebhaften Dreier- oder Sechser-Takt. Scherzo – der ewige dritte Satz; der nicht sehr lang bleibende – nicht so sehr geliebte – Bruder, der durchaus […]
Das wohlpanierte Clavier
Arno Lücker hört Rachmaninows drittes Klavierkonzert. Text · Titelbild ckturistando via Unsplash · Datum 12.6.2019 Seien wir mal ehrlich. Richard Strauss ist gepimpter Richard Wagner. Und Sergei Rachmaninows Werke irgendwie ein »Frédéric Chopin 2.0«. Klingt schlimm, ist aber so. Und gar nicht böse gemeint! Strauss plusterte die Tonsprache der Musikdramen Wagners, die Leitmotivtechnik übernehmend, auf […]
Berührend ehrlich und völlig humorlos
»Symphonie« und »Etüde« im Titel zusammenbringen: Das bringt/birgt den fast größten immanent musikalischen Widerspruch mit/in sich. Die Symphonie: Krone der absolutinstrumentalen Schöpfung. Die Etüde: nichtmusikgewordene Terrorherrschaft über alle Klaviersklav*innen zwanzig vergangener Jahrzehnte. Mit dem folgenden Zeilenumbruch beziehungsweise Absatz gedenken wir all jenen Pianist*innen, die mit Carl Czernys Nerv-Etüden aus der Schule der Geläufigkeit traumatisiert, geschunden […]