Unser brummiger Brahms liebte Bad Ischl. Viele Sommerwochen verbrachte er in dem hübschen Nest östlich von Salzburg, umringt von Feuerkogel (1469 Meter) und Katrin (1542 Meter) – sowie gegen Ende der 1880er Jahre immer häufiger von englischen Touristinnen und Touristen; Brahms war ein Prominenter und reagierte auf Autogrammwünsche durchaus einmal mit hörbarem Augenrollen.
Der Wiener Satiriker Daniel Spitzer berichtete im August 1889 in der »Neuen Freien Presse« aus Bad Ischl: »Geht man gegen zwei Uhr nachmittags in das Café Walter, so sieht man an einem Tische im Freien, Kaffee trinkend und Zigaretten rauchend: Johannes Brahms. Brahms, der sich diesmal entschlossen hat, einen Sommer ausschließlich in Ischl zuzubringen. Er ist in größerer Gesellschaft sehr wortkarg und brummt nur zeitweilig eine ironische Bemerkung; im intimen Kreise aber nimmt er lebhaft an der Unterhaltung teil.«
1894 komponierte Brahms die zwei Sonaten für Klavier und Klarinette op. 120. Der Komponist war 61 Jahre alt – und über seinen Gesundheitszustand sagte man, Brahms müsse beim Wandern häufiger Pausen machen; er sei aber ein »Bär«, der fast nie ernsthaft erkranke. Tatsächlich ereilten Brahms seit 1889 immer häufiger Infektionen; trotz gewisser, dezenter Alterserscheinungen ließ sich der gar nicht so ungesellige Dauergast nicht davon abhalten, viele Musikerinnen und Musiker, wie beispielsweise Schülerinnen und Schüler seiner guten Freundin Clara Schumann, zu empfangen.
Auch seine Reisetätigkeiten schränkte Brahms im Alter nur wenig ein. Eine Exkursion der späten Jahre unternahm Brahms im März 1891. Es ging in den fränkischen Süden Thüringens, nach Meiningen. Dort traf Brahms den Klarinettisten der Meininger Hofkapelle Richard Mühlfeld (1856–1907), welcher einstmals als Geiger angefangen und sich das Klarinette spielen dann autodidaktisch beigebracht hatte.
Für eben jenen Richard Mühlfeld schrieb Brahms seine beiden Sonaten op. 120 – und arbeitete sie später dezent für Klavier und Viola um. 102 Jahre später entstand Op. 120, No. 1 – von Luciano Berio; eine Fassung für Solo-Klarinette oder Solo-Bratsche und Orchester von eben jener ersten Sonate in f-Moll. Seiner »Orchestration« des ersten Satzes (Allegro appassionato) stellt Berio eine bewegte, typisch brahmsige, also rhythmisch kompakt beseelte Einleitung voller Motivmöglichkeiten voran; erst dann folgen die ernsten Unisono-Oktaven des Originals.
1. Satz: Allegro appassionato
Die Einleitung des ersten Satzes ist schon mal speziell. Da steckt viel Insider-Wissen drin. Musikalische Momente mit Hirn. Mit Herz. Naturgemäß. Das Zusammenspiel von Emotion und Struktur »funktioniert«. Bei Brahms. Immer. Bereits die Oktaven im Klavier: Sie starten auf der ersten (»schweren«) Zählzeit des 3/4-Taktes – und gehen erst einmal eine Quarte hoch. Eine Quarte hoch, in Oktaven: Das ist musikgeschichtlich mit dem Gefühl eines Auftaktes besetzt. Das denkt man einfach mit. Doch es gibt keinen Auftakt, es geht gleich los. Hier. Wie ein Stein auf der »Eins«. (#steins). Dazu die bei Brahms beliebte und brütend intellektuell-kryptische Spielanweisung »Poco Forte«. Also nicht Forte, nicht Mezzoforte, nein: »Ein bisschen Forte.« Bedeutsam, aber nicht laut. Gewichtig, aber nicht plakativ. Stolz, aber nicht eitel.
Die Oktaven ziehen hernieder. Und nach vier Takten setzt die Klarinette mit dem Hauptthema des Sonatensatzes an. Das Thema besteht melodisch fast ausschließlich aus Terzen. (Das ist nicht normal. Das ist Brahms.) Wiederum macht das Thema nicht unbedingt den Anschein einer reinen Gehirngeburt. Brahms. Typisch. Again. Komm, Baby, lass es uns wissenschaftlich und kompliziert ausdrücken: Die intervallisch scheinbar »reduzierte« Strukturiertheit des Hauptthemas bindet potentielles Sonatenmaterial schon auf engstem – sich bald in der Klarinette erweiternden – Raum zusammen und schafft eine intrinsische Selbstbezüglichkeit, die bei Brahms – dialektisch komponiert – als Gegenstück harmonische Vielfalt gebiert. (Auch das erste Thema des ersten Satzes von Brahms‘ Vierter ist ganz aus Terzen und Sexten gestrickt, nur harmonisch nicht so komplex wie der Anfang von op. 120 No. 1.)
In seinem Buch Stil und Gedanke. J. S. Bach beschrieb Brahms-Rehabilitator Arnold Schönberg 1950: »Musik im homophon-melodischen Kompositionsstil, das heißt: Musik mit einem Hauptthema, das von Harmonien begleitet wird und sich auf sie stützt, bringt ihr Material durch, wie ich es nenne, entwickelnde Variation hervor. Das bedeutet: Variation der charakteristischen Züge einer Grundeinheit erzeugt all die thematischen Gebilde, die für den Fluss, die Kontraste, die Vielfalt, die Logik und die Einheit einerseits und für den Charakter, die Stimmung, den Ausdruck und jegliche notwendige Differenzierung andererseits sorgen und so den Gedanken eines Stückes ausarbeiten.« Das Prinzip der »entwickelnden Variation« kann man anhand der Sonate op. 120 No. 1 ganz hervorragend exemplifizieren. Das anfängliche Thema des Allegro appassionatos ist dabei schon in sich nach diesem Prinzip gestaltet. So finden sich die anfänglichen Oktaven, die dann doch irgendwie schon zum Hauptthema gehören, beispielsweise in der Überleitung zum zweiten Thema. Man schaue einfach hier die linke Hand im Klavier ab Takt 38 an. Sprich: Das wichtige »Material«, das Brahms einmal anmischt, das verwendet er immer wieder als Klebstoff, als Füllmaterial, als Begleitung; nicht nur immer »laut und oben«.
Stimmungsmäßig noch kein großes Drama. Das Thema in der Klarinette gibt sich ganz entspannt. Doch die Tonabstände werden größer, die Leidenschaft bahnt sich ihren Weg. Bis hin zu Takt 12. Ein tiefer Akkord im Klavier. Auf der Dominante C-Dur. Eine 16tel-Pause. Dann die leicht heroische Oktaven-Situation; die erste schärfere Rhythmisierung: eine 16tel-Doppel-Oktave – und direkt danach eine um eine Achtel verlängerte Halbe. Wir müssen hier unbedingt aufhören. Wir sollten jetzt die Musik anstellen.
Weniger energetisch denn »trauernd« verstehen Reginald Kell und Mieczysław Horszowski (1950) den ersten Satz. Kein falsches Ritardando. (Denn das würde Brahms notieren. Fatal, wer sich bei Brahms ohne seine Erlaubnis Verzögerungen hingibt.) Das Ganze hat Fluss, aber nicht »Drive« im Sinne eines Voranpreschens. Erstaunlich auch, wie sich das Klavier in dieser vom Komponisten bewusst »Sonate für Klavier und Klarinette« genannten Musik im (auch tontechnischen) Vordergrund des Hörens platziert. Beide Interpreten schreiten das innere Tempogefühl sukzessive ab – und machen, seltsam gut, einfach nur das, was im Notentext steht. Mal ein kleiner Akzent an der Stelle einer dynamischen Öffnung in der Klarinette; mal eine leicht forsche Beschleunigung (so in Takt 60) beim zweiten Thema im Klavier. Überhaupt, das Seitenthema… Eine rhythmisch prägnante Bewegung im Piano: »Piano ma ben marcato«. Erneut so ein bewusster Brahms-»Widerspruch« in der Spielanweisung. Kell und Horszowski erweisen sich als souveräne Musikanten mit Geschmack. (Da sind einzelne falsche Töne im Klavier nicht weiter schlimm.)
In der Aufnahme mit Karl Leister und Jörg Demus (1968) kommt es schon im dritten Takt – die Klarinette hat noch nicht einen einzigen Ton gespielt – zu einer Kalamität, die einem, wenn man glaubt, Brahms verstanden zu haben, leicht bis mittelschwer (okay, seien wir ehrlich: todbringend) den Magen verstimmt: Demus legt eine kleine Ritardando-Schleife hin. An der denkbar schlechtesten Stelle. Zudem stolpert der Pianist in den Begleit-Takten 8-10 auf der zweiten Zählzeit stets kurz nach vorne; soll das »spannend« sein? Es klingt wie ein Altherrenwitz auf der Trauerfeier eines zu jung gestorbenen Menschen. Komplett daneben.
Kurz macht es »Bröp!«, wenn Demus einen Forte-Akkord vorliegen hat. Hölzern rattert er durch den beschädigten Wald des musikalischen Naturschutzgebietes, in dem man sich doch einfach nur so zu verhalten hat, wie es am Eingangsschild zu lesen ist. Ganz merkwürdig (aber leicht pathologisch) »interessant« wird diese Aufnahme hier nur dadurch, dass Demus fehlgeleiteten Beschleunigungs- und Verzögerungs-Eingebungen nachgeht, während Leister überhaupt keine Emotionen zeigt und spielt, wie ein des Morgens lange geföhnter US-Klarinettist, der sein erstes Probejahr im Orchester unbedingt überleben möchte. Perfektion ohne Sinn.
Bei Michael Collins und Mikhail Pletnev (1988) besticht zunächst der allererste Klang von Pletnev am Klavier: Er markiert die »schwere Eins«, hat die paradoxe Ausgangslage verstanden. Etwas fieser formuliert: Pletnev bemüht sich darum, sein Werkverständnis den Zuhörenden sogleich zu vermitteln. Dafür können wir Pletnev zugutehalten, dass ihm die Mini-Decrescendo-Situation in Takt 4 am sensitivsten gelingt. Ritardandi gibt es erst einmal keine. Und so soll es ja sein. (Nochmal: bei Brahms.)
Beide Interpreten sind von Beginn an in der Musik »drin« und musizieren hellhörig, mutig, subtil – und klingen dabei im gemeinsamen Zusammenspiel wie eine Orgel! (Das muss man erstmal schaffen.) Toll, wie Pletnev versteht, mit Brahmsschen »Trockenlegungen« (»non legato« in der Fortspinnung des zweiten Themas) umzugehen. Auch stellt sich hier eine Verwobenheit beider Instrumente ein, die Freude macht. Eine wunderbare Einspielung.
Bei der Aufnahme von Sabine Meyer und Lars Vogt (2002) handelt es sich um einen Live-Mitschnitt. Der Versuch von Lars Vogt, das besagte Mini-Crescendo – die erste Geste des Zweifelns, des Zurückweichens – zu etwas »Besonderen« zu machen, »misslingt« für mein Gefühl. Takt 4 ist »zu besonders«, zu abgekapselt von dem Davor. Eng zieht bald Sabine Meyer ihre perfekten Linien durch die Landschaft. Wie Drahtseile durch einen schönen Wald. Das ist irgendwie bestechend, weil gleichsam eiskalt. Manchmal muss man Brahms fast gefühllos spielen, damit er – wie hier – zu uns spricht. Natürlich grandios!
2. Satz: Andante un poco Adagio
»Einfach nur schön« ist der zweite – langsame – Satz (Andante un poco Adagio) nicht. Zwar gemütlich bewegt (wir könnten uns den alten Brahms auf einem Schaukelstuhl vorstellen), doch nicht selbstgefällig: Seine Harmonien reichert Brahms mit dezent »falschen« Tönen an. »Zauberstellen«, bei denen die Interpretierenden plötzliche Leisheit ausmusizieren dürfen, werden entsprechend von kühnen Harmoniewechseln umgeben. Da »purzeln« zunächst zurückgelehnt die Töne nach unten, die Klarinette bringt eine Melodie. Später werden die Karten neu gemischt – und die Rollen gewechselt. Brahms wiederholt sich im Grunde nie. Alles entwickelt sich weiter. Immer.
Reginald Kell und Mieczysław Horszowski versinken in der Musik. Gut, dass Horszowski chromatische Mittelstimmen nicht didaktisch herausmeißelt, sondern innehält und nachfühlt. Eine Rückschau in Lebensbildern. Einfach auch wunderschön geblasen. Etwas mutig und dabei doch so treffsicher, wie Kell einzelne Crescendo-Linien ausgestaltet, indem er Portato-Gewicht auf jeden Ton legt. Das darf man machen – und es erhöht die Intensität des Hörens.
Karl Leister und Jörg Demus können mit der hier wiederkehrenden Anweisung »Poco Forte« nichts Rechtes anfangen. Demus rutscht gleich zu Beginn die dritte Note des ersten Taktes plumpsig ins Forte weg. Wir ziehen die Spülung. Diese Interpretation scheidet aus.
Michael Collins und Mikhail Pletnev nehmen das »Adagio« in »Andante un poco Adagio« etwas zu wörtlich. Die Musik steht. Auf. Der. Stelle. Wie Collins allerdings bald mit seinem Klarinetten-Ton hinter den Berg hält, um dann – uns ganz schön nahekommend – ins Tal hinabzublicken: Fein. Vielleicht too much. Aber why not?
Das »flotteste« Tempo dieses Interpretationsvergleichs nehmen sich Sabine Meyer und Lars Vogt heraus. Und das ist erst einmal völlig richtig, wenngleich hier die Coolness zu schnell ins deutsche »Kühl« übersetzt wird. Leider spoilert das – schon zu leise gespielte – »Piano dolce« bei Lars Vogt in Takt 23 das dann »plötzlich« vorgeschriebene »Pianissimo« in Takt 25. Hier wäre eine Zauberkontrastwirkung schön; die Lieblingsstelle des Autors dieser Zeilen; ein bisschen aus der Kinderpuppenstube grüßend; aber mit dem Staub des Alters belegt.
3. Satz: Allegretto grazioso
Das Allegretto grazioso ist der »Tanzsatz« der Sonate – und natürlich absichtlich untanzbar. Eine Mischung von Walzer und Ländler, aber – manchmal etwas brahmsig rumpelnd – kontrapunktisch-imitatorisch durchflochten und unterbrochen von brahmstypischen Rhythmusspielchen (»Aus 3 mach 2«, Fachausdruck: »Hemiolen«). Im Mittelteil fließt es dann fast willenlos dahin. Einfache Linien, aber aufgerieben durch kleine engschrittige Zutaten und gentlemanlike gemäßigten Laut-Leise-Augenblicken.
Brahms hatte zuvor in seinem Leben viele Walzer komponiert. (Die – etwas – Älteren erinnern sich an die ZDF-Serie Nesthäkchen aus dem Jahr 1983, in dem der Walzer As-Dur op. 39 No. 15 Verwendung findet.) Walzer-König Johann Strauß und Brahms kannten sich dabei sogar persönlich. Aus Ischl! Über das Verhältnis der beiden schreibt Johannes Forner in seinem Buch Brahms. Ein Sommerkomponist : »Brahms (bewunderte) den Charme und die Leichtigkeit von Strauss (…), (während) Strauss seinerseits die Größe des anderen bestenfalls erahnte.«
Brahms und Strauss hatten einst ein ähnliches (unschönes) Erlebnis gehabt – und waren in dieser Hinsicht »Schmerzensbrüder«, denn deren vermeintlich wichtigsten Werke waren bei den bösen Wiener Kritikern auf Missfallen gestoßen. Brahms schrieb einmal: »Nicht wahr, lieber Strauss, das waren doch ganz andere Zeiten, als wir mit unserem feinsten Stücken, mit Fledermaus und Requiem durchfielen?« (Wir sehen es mit unseren gelangweilten Augen schon vor uns. ZDF, erster Weihnachtstag, 20.15 Uhr: Zwei Schmerzensbrüder tanzen Walzer. No, please, don’t.)
Reginald Kell und Mieczysław Horszowski gehen wieder äußerst gemütlich vor. Trotz der alten Aufnahmetechnik sind gerade die absichtlich »plumpen« – dabei nach Art der Zubereitung eines Kanons angelegten – Ländler-Teile im Klavier plastisch durchhörbar. Und wie schön dann beide Interpreten im Mittelteil versinken; wie zwei betagte Männer, die bei einem Umtrunk im Herrenzimmer etwas zu tief in die Flasche geschaut haben und sich – in die englische Ledergarnitur verrutscht – immer wieder gegenseitig aufwecken müssen: »Hey, nicht einschlafen, mein alter Freund!« Berührend.
Michael Collins und Mikhail Pletnev ziehen recht flink von dannen. Gut so! (Den Spazierstock immer in der Hand.) Ab und zu bringt Michael Collins leicht knöterige Akzente, die auf seinem Instrument einfach schön klingen. Hier wird das ganze Bergpanorama feinst abgefilmt. Alpenländisches Feeling, fluppig-klarinettös verspätbrahmst. Kein Diminuendo ist kitschig – und die Phrasenenden sind trocken abgesteckt. Die Fröhlichkeit, die das Ganze transportiert, kommt unmittelbar da an, wo wir sie gerade brauchen. Das rasche – will heißen: perfekte – Tempo geht sich insbesondere im Mittelteil aus, wo die beiden Interpreten noch ein bisschen weiter anziehen. Pletnev schnitzt die Chromatismen der linken Hand subtil aufreibend in das Bild der herbstlichen Klarinettenlandschaft hinein. Was für eine großartige Aufnahme.
Und natürlich ist es ein bisschen unfair, dagegen die Live-Aufnahme von Sabine Meyer und Lars Vogt zu stellen. Beide nehmen den Satz einen deutlichen Tick langsamer als Collins und Pletnev. Schön, wie Vogt bei »Echo-Stellen« sich ganz ins Innere, Nachdenkliche zurückzieht. Meyer und Vogt bringen Brahms zu Gehör, so, wie wir Brahms kennen. Aber bei Collins und Pletnev leuchtet etwas mit, das mir sehr gefällt. (Obwohl es weniger mit Brahms zu tun haben mag.) Meyer und Vogt spielen klassisch Brahms. Und das ist überragend klug, aber für heute ein ganz klein bisschen zu sehr. Das Sinnende, das Zuhörende, das Meyer und Vogt hier musizierend durchdringen lassen, ist gleichwohl extrem geschmackvoll. Doch mein Herz brennt nicht.
4. Satz: Vivace
Und da ist er auch schon: der vierte Satz. Wir befinden uns nicht mehr f-Moll, sondern in einem lichten F-Dur. (Total normal.) Das Ganze geht also doch frohgemut zu Ende! Die Leichtigkeit weicht dabei immer wieder leidenschaftlichen Brahms-Ausbrüchen, in denen es gut gewürzt – aber immer fein abgeschmeckt – im Klavier ins Vollgriffige hineinbrät. Das Tonwiederholungsmotiv des Beginns findet sich dabei an den witzigsten (auch mal ganz tiefen) Stellen im Klavier. Streusel, überbacken. Smarties mit Käse. (Entschuldigung.)
Wie bei Mendelssohn huschen Reginald Kell und Mieczysław Horszowski nach vorne weg. Ganz leicht, hauchzart. Eher Scherzo denn Finale. Vorteil: Die im Klavier zum »Stampfen« neigenden Widerborstigkeiten kehren dadurch ihre Tanzcharakterseite heraus. Ab und zu würde man vielleicht bei Horszowski gerne hören, dass auch die Bass-Begleitung thematisches Material enthält (nämlich in Form der drei Töne des Beginns). Denn, wie gesagt: Noch die unscheinbarsten Begleitpassagen stecken bei Brahms voller thematischer Ableitungsbezüge… Kell und Horszowski jedenfalls legen ein schön leicht bewegtes Kehraus aufs Hörparkett – und können gerade in den leisen Satzteilen durch wirkliche Stille in Abwechslung mit kernigen Akzenten überzeugen.
Viel deutlicher werden die erwähnten Tonwiederholungen im Klavier von Mikhail Pletnev herausgeklöppelt. Und viel schneller geraten Collins und Pletnev an diverse dynamische Randbereiche, an denen Stauungen entstehen. Geballte, aufgesparte Energie, die vielleicht etwas zu schnell reichhaltig ausgeschenkt wird. Aber warum eigentlich nicht? Die ausstrahlende Freude an der Musik macht diese Aufnahme jedenfalls unverzichtbar.
Ähnlich klar akzentuiert meißelt Lars Vogt den Beginn auf die Tastatur. Meyer und Vogt nehmen das mit Abstand schnellste Tempo aller hier Verglichenen. Das ballt sich ganz spannend auf; aber viel zu früh. Da muss Vogt dann immer mal wieder zurückrudern, damit aus horizontalen Brahms-Geschehnissen – also aus Linien – nicht noch etwas fast Vertikales resultiert. So kommt es zu Ritardando-Notfällen, die – wie mehrmals betont – bei Brahms immer tödlich sind. Die Musik von Brahms muss aus sich selbst heraus atmen. Aber ohne künstliche Hilfe der Schulmedizin! ¶