Die Sopranistin Asmik Grigorian feiert schon länger beachtliche, überaus solide Erfolge. Als Tochter zweier Opernsänger schloss sie 2006 ein Gesangsstudium in ihrer Heimatstadt Vilnius ab. Anschließend wurde sie von Opernhäusern in ganz Osteuropa eingeladen; seit 2011 tritt sie auch im deutschsprachigen Raum auf und hat bis heute ganze 60 Rollen in ihr Repertoire aufgenommen. Nun hat ihre Darbietung von Richard Strauss‘ Salome in diesem Sommer in Salzburg aber noch einen bedeutenden Sprung auf der Karriereleiter und einigen Schwung in ihre Buchungsanfragen gebracht. Der Vergleich mit Anna Netrebko steht im Raum, die 2002, ebenfalls in Salzburg, ihren Durchbruch zum Weltstar geschafft hatte. Und ist das Attribut »Weltstar« erst einmal im Umlauf, dann entfaltet dessen Echo ohnehin seine eigene Dynamik. Grigorian selbst sagt selbstbewusst in Bezug auf Netrebko, mit deren Erfolg lasse sie sich gern vergleichen, nicht aber mit der Stimme oder Person: da sei sie selbst dann schließlich immer die zweite. Im November stand Grigorian in Frankfurt als Iolanta in Peter Tschaikowskys gleichnamiger Oper auf der Bühne. Teresa Roelcke hat sie zwischen zwei Aufführungen getroffen.

Hat der Salome-Erfolg etwas verändert?

Ja und nein. Meine Persönlichkeit hat er nicht verändert. Aber ich bin jetzt sehr viel freier zu wählen, was ich machen will und was nicht. Und als Person hat es mir natürlich sehr viel gegeben, denn das Team der Inszenierung hat großes Vertrauen in mich gesetzt. Bei so wichtigen Orten wie Salzburg ist es immer die Frage, wer den ersten Schritt macht. Und so eine große, vertrackte Rolle einer jungen Sängerin zu geben, das war schon wirklich ein Vertrauensbeweis.

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Und jetzt stehen Sie in Frankfurt als Iolanta auf der Bühne. Gab es Besonderheiten bei der Rolle? Wie kommen Sie mit der Blindheit der Figur zurecht?

Ich verstehe gerade erst, warum meine Stimme in dieser Rolle am Anfang manchmal nicht ganz so funktioniert hat, wie ich das wollte. Mir fällt nämlich auf, dass ich, wenn ich diese blinde Person spiele, eine sehr eigenartige Bewegung mit den Augen mache. Als Sängerin musst du aber einen Ort haben, an den du die Stimme schickst, einen Fokus, und meist fixiert man diesen Punkt mit den Augen. Und wenn du eine Blinde spielst, dann verlegst du diesen Fokus automatisch sehr nah vor dich, weil eben die Augen unfokussiert sein sollen. Aber dann trägt auch die Stimme auf einmal nicht mehr richtig. Daher musste ich sozusagen den Fokus aufspalten: den der Augen sehr nah vor mich legen, aber die Stimme trotzdem ins Publikum schicken.

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Wenn man sich Ihre Repertoireliste anschaut, dann findet man darauf fast ausschließlich Opernrollen.

Ich denke schon, dass meine Stärke die Bühne ist, die Oper. Aber im Hinblick darauf, dass meine Tochter – sie ist jetzt zwei Jahre alt und kommt auf alle meine Reisen mit – in absehbarer Zeit in die Schule kommt, versuche ich mein Konzertrepertoire auszubauen. Wenn es so weit ist, möchte ich maximal zwei Opernproduktionen im Jahr machen und den Rest mit Konzerten füllen. Aber ich glaube, auch das kann ich gut. Wenn ich ein Konzert singe, dann bastele ich mir, genau wie auf der Opernbühne, meine eigene Geschichte im Kopf, die ich dann singe. Denn so bin ich, eine Bühnenperson. Ich könnte nicht einfach nur die Partitur absingen, ich muss mir meine Geschichte dazu denken.

Gibt es bestimmte Rollen, die Sie gern singen würden?

Die meisten davon kommen schon bald, Norma und Jenufa zum Beispiel. Irgendwann würde ich gerne Katerina Ismailowa von Schostakowitsch geben, das ist allerdings noch nicht geplant im Moment. Mit Norma habe ich eine sehr persönliche Geschichte: Meine Mutter sang die Rolle, als sie schwanger mit mir war; später haben meine Eltern die Oper gemeinsam aufgeführt und ich war das Kind. Daher habe ich eine starke emotionale Beziehung zu dem Stück. Jenufa dagegen ist einfach eine tolle Oper. Und Katerina Ismailowa möchten mein Ehemann Vasily Barkhatov und ich sehr gerne gemeinsam auf die Beine stellen, er ist ja Regisseur. Eine andere Rolle wäre Adriana Lecouvreur, weil mein Vater, der vor zwei Jahren gestorben ist, mich gerne in dieser Rolle sehen wollte.

AJ Glueckert (Graf Vaudémont) und Asmik Grigorian (Iolanta)
AJ Glueckert (Graf Vaudémont) und Asmik Grigorian (Iolanta)

In der Iolanta wollte er Sie auch gerne sehen, oder? Glauben Sie, er würde sich freuen, dass Sie die jetzt in Frankfurt aufführen?

Ja, ich glaube, er freut sich.

Er freut sich? Also dann beobachtet er Sie?

Ja! Oder er singt mit mir, da bin ich noch nicht ganz sicher. Eigentlich fühlt es sich so an, als würde er mit mir singen. Seit er gestorben ist, habe ich den Eindruck, dass ich die doppelte Kraft habe beim Singen.

Sie nehmen regelmäßig Gesangsunterricht. Was gibt es denn überhaupt noch zu lernen für Sie?

Es gibt immer etwas zu korrigieren. Das ist wie im Sport: Man braucht immer einen Trainer. Und jede neue Rolle bringt neue Herausforderungen, da gibt es wirklich ständig etwas zu tun. Ich nehme so viel Unterricht wie es geht, mindestens zweimal pro Woche! Normalerweise per Skype, denn ganz so viel kann ich dann auch wieder nicht reisen. Aber ich versuche natürlich so häufig es geht nach Stockholm zu reisen, wo mein Lehrer lebt. Er unterrichtet das, was ich alte italienische Schule nennen würde. In den nächsten Tagen werde ich sehr viel Unterricht haben, weil ich dann für die Madame Butterfly ohnehin in Stockholm bin, und dann arbeiten wir natürlich mehrere Stunden jeden Tag. Darauf freue ich mich.

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Per Skype, das funktioniert?

Ja. Natürlich ist live besser, aber es funktioniert und es ist besser als nichts. Vielleicht brauche ich das irgendwann mal weniger, aber momentan habe ich das Gefühl, dass der Unterricht nötig ist und ich wirklich permanent sehr viele neue Sachen lerne.

Unterrichten Sie eigentlich auch selbst?

Nein, noch nicht. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass ich das jetzt tun möchte. Später vielleicht schon, die alte Schule möchte ich gerne unterrichten, aber jetzt nicht. Natürlich versuche ich zu helfen, wenn mich jemand um Rat fragt. Und es ist ja auch interessant, weil man sich selbst Vieles erklärt, wenn man jemandem anderes etwas erklärt. Nur: Ich habe wirklich keine Zeit dafür im Moment.

Und fürs Schauspielen, haben Sie da jemals Unterricht gehabt?

Nein. Aber ich bin sehr sensibel für alles, was in der Welt um mich herum passiert. Und ich denke, das ist eines der wichtigsten Dinge fürs Schauspielen. Ich laufe durch die Straßen Frankfurts mit seinen Prostituierten, Drogenabhängigen und Obdachlosen und ich fühle sie mit meinem ganzen Herzen. Ich habe wirklich den Eindruck, zu fühlen und zu verstehen, dass ich jede einzelne Person von denen sein könnte. Und grundsätzlich bin ich sehr offen; wenn ich etwas empfinde, dann kann ich es auch zeigen. Außerdem stehe ich natürlich seit dreizehn Jahren auf der Bühne und habe fast sechzig Rollen gespielt. Dadurch habe ich eine Menge Erfahrung gesammelt.

Iolanta (Asmik Grigorian, zweite von rechts ) mit Martha (Judita Nagyová), Brigitta (Elizabeth Reiter) und Laura (Nina Tarandek).
Iolanta (Asmik Grigorian, zweite von rechts ) mit Martha (Judita Nagyová), Brigitta (Elizabeth Reiter) und Laura (Nina Tarandek).

Aber das Schauspielen könnte dadurch auch einfach Routine werden und stereotyp?

Ich glaube nicht, dass es stereotyp werden könnte, denn ich bin ganz grundsätzlich nicht stereotyp. Wie könnte ich auf der Bühne stereotyp sein, wenn es mir nicht gelingt, im Leben stereotyp zu sein? Ich bin, die ich bin, und dann kann es nicht stereotyp werden. Wenn man ehrlich auftritt auf der Bühne, denn es ist ja niemand wie ich.

Lernen Sie von Ihren Rollen für Ihr eigenes Leben?

Ja, natürlich. Zum Beispiel von der Salome: In dieser Rolle habe ich verstanden – weil ich es gefühlt habe –, dass ich wohl auch in der Lage wäre, eine Person zu töten. Ich habe all den Schmerz gefühlt und auch dieses, das Ganze nicht tun zu wollen. Also: Ja, natürlich lerne ich von den Rollen. Ich verwandele mich ja in sie. Also muss ich mich durch alles hindurchfühlen.

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Haben Sie dann nicht die Sorge, sich in so einer Rolle verlieren zu können?

Nein, ich denke, es ist unmöglich, sich selbst zu verlieren. Die Gefahr ist doch eher, zu sehr du selbst zu werden. Und in allen Rollen die gleiche zu sein. Aber auch das ist nie die Gefahr, wenn man ein gutes Team hat. Das Team hilft einem, eine Auffassung von der Rolle zu finden, die man verkörpern soll. Und so ist auch die Salome mit vielen Leuten um mich herum angefüllt.

Daher also noch mal zurück zur ersten Antwort, als ich meinte, dass ich jetzt, durch den Erfolg mit der Salome, die Möglichkeit habe zu wählen: Das ist sehr, sehr wichtig für mich. Denn ich will wirklich meine Zeit nicht verschwenden. Ich verbringe jeden Tag so viele Stunden mit der Arbeit. Daher möchte ich sie wirklich zu quality time machen, zu genießbarer Zeit, und die richtigen und korrekten Sachen machen.

Wie verbringen Sie denn die Zeit, in der Sie nicht arbeiten?

Das kommt ja so gut wie nicht vor. Aber wenn, dann verbringe ich Zeit mit meinen Kindern. Wenn man Elternteil und Sängerin ist, dann tut man nicht viele andere Dinge. Ich vermisse so viele interessante Dinge im Leben. Es ist auch hier ein bisschen wie beim Sport. Man muss so viele Stunden aufwenden, um Profi zu sein. Und dann möchte man den Rest der Zeit natürlich mit der Familie verbringen. Manchmal muss ich mich regelrecht daran erinnern, mein eigenes Leben nicht zu verpassen, mal ins Theater zu gehen zum Beispiel. Ich sehne mich auch danach, endlich mal wieder ein Buch zu öffnen!

Sie haben in einem anderen Interview erwähnt, dass Sie mit Anfang dreißig eine Operation an den Stimmbändern hatten. Was ist passiert, wie ist es dazu gekommen?

Nichts ist passiert. Oder nur das, was tausend anderen jungen Sängern auch passiert, die überarbeitet sind und nicht wissen, wie man singt. Das ist alles. Und danach: Wenn man die Zeichen nicht erkennt und nicht bereit ist zu lernen, dann wird das wieder passieren.

Asmik Grigorian als Iolanta.
Asmik Grigorian als Iolanta.

Wie genau versuchen Sie also zu vermeiden, dass sich das Problem wiederholt?

Ich lerne singen.

Vorher hatten Sie aufgehört, Unterricht zu nehmen?

Vorher habe ich eigentlich generell keinen Unterricht genommen. Ich war fast immer auf der Bühne, immer mit extrem schwierigen Rollen. Ich hatte keine Zeit, irgendetwas in mich zu investieren, denn ich bin schon sehr früh Mutter geworden. Ich bin damals aufgetreten ohne zu wissen, wie man singt. Aber das ist nicht sehr außergewöhnlich. Die meisten Sänger machen es ganz genauso.

Das ist doch furchtbar.

Das ist das Leben. Wenn man jung ist, will man alles ganz schnell erledigen. Und wir leben auch in einer Zeit, die sehr schnell ist. Alle wollen junge Leute auf der Bühne, alle wollen schnell Stars werden. Das ist der Grund. ¶

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