Am 8. März 2021 – am Internationalen Frauentag – erscheint der »Komponistin-O-Mat«; nach dem Sinfon-O-Maten, dem Oper-O-Maten und dem Sonat-O-Maten das nächste musikalisches Ermittlungsmonster, mittels dem man – nachdem man es durchgespielt hat – zu dem Namen einer Komponistin und einem ausgewählten Stück Musik gelangt, das der eigenen Persönlichkeit am ehesten entspricht. Dafür habe ich mich mit über 250 Komponistinnen beschäftigt; gesammelt, sortiert, gehört, Merkwürdigkeiten notiert… Ab der heutigen Woche geht es in einer großen Serie ausschließlich um Komponistinnen. Je eine wird vorgestellt und ein Werk mit entsprechendem Link herausgehoben und beschrieben.

Dass es da draußen – auch in der Geschichte rückblickend – noch mehr Komponistinnen gibt als Clara Schumann und Hildegard von Bingen, das war mir bewusst. Dass aber die Sammlung von Lebens- und Werkdaten von mehr als 250 komponierenden Frauen wirklich Frappierendes, Unentdecktes, ja: Sensationelles zu Tage fördern würde, das hat mich überrascht. Eine tragische Einsicht allerdings vorweg: Komponierende Frauen sterben im Durchschnitt noch etwas früher als die Berufsgruppe komponierender E-Musik-Männer, die in der Vergangenheit bekanntlich selbst nicht durchweg mit liedchenpfeifender Lebensfreude beschenkt, von frühen Krankheiten verschont und mit methusalemgleichen Lebensalterausdehnungsauffälligkeiten gesegnet worden waren.

Selbstredend gibt es Ausnahmen – auch bei den komponierenden Frauen. Die 1867 in Boston geborene und 1972 dort gestorbene Margaret Ruthven Lang wurde stolze 104 Jahre alt. Ihr Vater – Benjamin Johnson Lang (1837–1909) war ein musikalisches Multitalent und als Pianist, wie allerdings gefühlt jede/r Pianist*in des schwarzweißbetasteten 19. Jahrhunderts, »Liszt-Schüler«. Margaret Ruthven Lang studierte Violine und Komposition in München und ihrer Heimatstadt Boston; bei eher weniger bekannten Lehrern, denn für ein Studium bei der wohl wichtigsten Kompositionspädagog*innen-Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts – Nadia Boulanger (1887–1989) – war Lang schon zu alt, und Boulanger, die erst ab 1921 in Paris unterrichtete, zu jung.

Mit 26 Jahren kam Lang – die über 200 Lieder komponierte – zu der Ehre, die erste Frau zu sein, von der ein sinfonisches Werk von einem der großen US-amerikanischen Orchester uraufgeführt wurde: 1893 erklang Langs Dramatic Overture mit dem Boston Symphony Orchestra unter der Leitung von Arthur Nikisch. So ruhmreich dies dünkt, so armselig für die – damals wie heute – von alten weißen Männern dominierte Musikwelt, dass keine einzige Aufnahme dieses Werkes existiert. Immerhin hat sich ein gewisser John Johnston in Form einer Wordpress-Seite dem Phänomen Margaret Ruthven Lang angenommen.


Margaret Ruthven Lang (1867-1972)
Revery op. 31 (1899)

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Um in die wunderbare Klangwelt Langs, die 1919 ihre Kompositionstätigkeit »zugunsten der Familie« aufgab, hineinzugelangen, empfehle ich Langs Revery op. 31 für Klavier solo aus dem Jahr 1899, komponiert also mit 33 Jahren. »Revery« heißt »Träumerei«; ein – Schumann ausblendend – typischer Titel für eine spätromantisch-impressionistische Komposition à la Gabriel Fauré oder Claude Debussy.

Während Claude Debussy sich allerdings zeitgleich, natürlich ebenfalls auf höchstem Niveau, noch irgendwo zwischen Neoklassizismus, Neobarock und frankophil eingenebelter Liszt-Nachfolge bewegt (man höre exemplarisch das etwa zeitgleich komponierte Werk Pour le Piano, 1901–02), spielt sich Langs Stück bereits auf dem reichhaltigen Exotismus-Niveau von späteren Debussy-Kompositionen wie Estampes (1903) oder den Images (1904/1907) ab!

Es glitzert sogleich los. In die pagodenklangartigen – aber nie glatten, geglätteten, sondern aufgefächert interessanten! – Himmelsharfen gelangt eine wunderschöne Melodie hinein, die mal deutlich heraustritt, mal im spielerisch-gechillten Reigen des ganzen Miteinanders untertaucht. Ganz ernst geht es plötzlich zu. Ein Phrasenende wird rudimentär wiederholt; wie Brahms es einst tat, um so etwas wie »Einhalt«, »Ernst« oder halt einfach »Halt!« zu signalisieren. Auch Liszt lugt lodernd hervor: Langs Girlanden erinnern manchmal angenehm an dessen transzendentale Etüde Harmonies du soir. Doch schillernd-klagende Dissonanzen reiben dann einen Mini-Mittelteil äußerst hörenswert auf.

Ein erstaunlich differenziertes, innovatives Klavierwerk, das in seiner Entspanntheit dabei nicht drängt, nicht auf die bisherige Musikgeschichte im Sinne eines »Hier komme ich!« einschlägt. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.

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