In Neustrelitz steht bis heute ein Opernhaus (mit interessanter Programmatik). In Neubrandenburg wird dagegen »nur« Schauspiel gezeigt – allerdings organisatorisch »unter einem Dach« mit Neustrelitz. Neustrelitz entstand 1733 als »barocke Planstadt«, Neubrandenburg schon im 13. Jahrhundert. Bis in die 1730er Jahre kam es hier immer wieder zu verheerenden Stadtbränden. Zuvor hatte die Bedeutung Neubrandenburgs durch die Verlagerung des fürstlichen Hauptsitzes von dort nach Neustrelitz abgenommen. Auch die Kirchenverwaltung wurde nach Neustrelitz verlegt. In diese Umbruchszeiten hinein (bald galt Neubrandenburg schließlich wieder als politisches Zentrum des altmecklenburgischen Staates) wurde am 10. Juli 1759 Sophia Maria Waternholz geboren, im besagten Neubrandenburg.

Sophias Vater war der Organist Ferdinand Fritsch – also war Musik im elterlichen Hause ein alltägliches Thema. Sophia Maria Waternholz muss große Begabung gezeigt haben, schließlich kümmerte sich der »Hof- und Capell-Compositeur« des Hofes von Mecklenburg-Schwerin Johann Wilhelm Hertel (1727–1789) persönlich um das musikalische Fortkommen Sophias. Sie erhielt Klavier- und Gesangsunterricht und wurde mit 17 Jahren Mitglied der Hofkapelle in Ludwigslust.

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Am 12. September 1777 heiratete Sophia Maria Waternholz den Kapellmeister und Tenor Carl August Friedrich Westenholz. Für das Schreiben ihres neuen Nachnamens musste sie also nur ein paar Binnenbuchstaben austauschen. Aus der Ehe gingen acht Kinder hervor. Ihre Gesangslaufbahn musste die Musikerin einschränken, entdeckte aber dafür das Spiel auf der Glasharmonika für sich und brachte dieses Instrument nun auch ins Repertoire der Hofkapelle von Ludwigslust ein. In dieser Zeit war Westenholz bereits als Pianistin überregional gerühmt worden und, ungewöhnlich für eine Frau zu dieser Zeit, auch als Dirigentin vom Klavier aus tätig. Ausgehend von diesen Erfahrungen entstanden nun auch eigene Kompositionen – und ihre pianistischen Tätigkeiten führten sie nach Kopenhagen, Leipzig und anderswo.

Sophia Maria Westenholz starb am 4. Oktober 1838, etwa drei Wochen nach ihrem 61. Geburtstag in Ludwigslust.


Sophia Maria Westenholz (1759–1838)
Morgenlied op. 4 No. 7 (1806)

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Von Sophia Maria Westenholz sind vor allem Werke für Klavier sowie Kunstlieder erhalten geblieben. 1806 notierte sie das Morgenlied op. 4 No. 7. Der Text stammt von dem pommerschen Dichter und Theologen Johann Timotheus Hermes (1738–1821). Das eigentümliche Vorspiel des Klaviers macht gleich feine Frische-Fenster auf. Hier wird einem nicht vermittelt: »Ich bin ein periodisch brav strukturiertes Vorspiel!« Die vermeintlich sich im ersten vollen Takt einstellende Bassbegleitung »fehlt« auf angenehm (auf)hörenswerte Weise im nächsten Takt. So bleiben wir mit unseren Ohren sogleich dabei – und schenken nach den kleinen Seufzern der Klavierintroduktion dem Moment des Gesangsstimmeneinsatzes Gehör. Genüsslich zieht Westenholz das Wort »Morgenröthe!« in die Länge. Wieder eine Überraschung – kein »komponiertes Biedermeiertum«! Als würde sich das lyrische Lied-Ich besonders viel Zeit für die Betrachtung der Natur, deren Schönheit in dieser Komposition besungen wird, nehmen wollen. Die Natur als ewige Größe, als Glücksbringerin, als Spiegel schönen Lebens. Ein tolles Lied. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.