Unter Oscar I. und Nachfolger Karl XV. wurde Schweden schrittweise modernisiert. Man begann, das Eisenbahnnetz aus- und Bodenschätze wie Erz abzubauen, Wälder zu roden, um Holz zu gewinnen. In diese Zeit des industrialisierungsbedingten Umbruchs in Schweden hinein wurde am 9. Januar 1860 Laura Valborg Aulin geboren, im schwedischen Gävle, etwa 200 Kilometer nördlich von Stockholm gelegen.

Nach häuslichem Musikunterricht – Klavier ab dem sechsten, Komposition ab dem 13. Lebensjahr – studierte Aulin in drei großen Städten Europas, wie MuGI-Autorin Katrin Losleben schildert. Den Anfang (Klavier) macht Aulin bei Hilda Thegerström (1838–1907) an der Königlichen Musikakademie von Stockholm. Thegerström, welche – wie Aulin später – die auch qualitative Gleichzeitigkeit von Klavier und Komposition erfolgreich lebte, war die Nichte des prominenten Geigers und Komponisten Franz Berwald (1796–1868). Komposition studierte Aulin – ebenfalls in Stockholm, also nicht allzu weit von ihrer eigentlichen Heimat entfernt – bei Hermann Berens (1826–1880), August Lagergren (1848–1908), Ludvig Norman (1831–1885) und Albert Rubenson (1826–1901), allesamt Komponisten und Interpreten von eher regionaler Bekanntheit. Ihr Lehrer Albert Rubenson aber pflegte gute Kontakte zur Musiklandschaft weiter südlich gelegener Länder Europas. Ein durch Rubenson an seine Studentin Aulin vermitteltes Stipendium ermöglichte der jungen Musikerin, zunächst für einige Monate in Kopenhagen – bei dem bedeutenden Niels Gade (1817–1890) – zu studieren, um dann über Berlin nach Paris zu reisen.

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Mit Beginn des Studiums in Paris nahm die Bekanntheit der Namen ihrer Professoren noch einmal um viele Prozentpunkte zu. Aulin studierte nämlich bei Benjamin Godard (1849–1895), Jules Massenet (1842–1912) und Ernest Guiraud (1860–1928), dessen durch Camille Saint-Saëns und Paul Dukas vollendete Oper Frédégonde vor einigen Wochen am Theater Dortmund ihre Deutsche Erstaufführung erfuhr. Über Aulins darauffolgenden Studienaufenthalt in Berlin ist – erstaunlich – nichts bekannt, wie man bei MuGi liest. Artikel–Verfasserin Losleben berichtet weiter: »In den Jahren zwischen den Studien in Stockholm und Paris, 1882 bis 1885 sowie im Anschluss daran, ab 1887, unterrichtete sie Klavier und Harmonielehre in Stockholm. Als Pianistin ging sie mit dem Streichquartett ihres Bruders Tor, dem Aulinska Kvartett, auf Tournee. Auch hier sind keine Einzelheiten bekannt, lediglich, dass Stationen der Konzertreise(n) sich auch im Ausland befanden. 1896 und 1901 organisierte sie zwei ›kompositionsaftnar‹ (Kompositionsabende), deren Programme sie ausschließlich mit ihren eigenen Werken gestaltete. In den Jahren um die Jahrhundertwende wandte sie sich jedoch von der Komposition und von Stockholm ab und widmete sich an ihrem neuen Wohnort Örebro der Konzert- und Lehrtätigkeit in den Bereichen Klavier und Harmonielehre sowie der Veranstaltung von Konzerten.«

Laura Valborg Aulin starb am 13. März 1928 in Örebro. Sie wurde 78 Jahre alt.


Laura Valborg Aulin (1860–1928)
Streichquartett No. 1 F-Dur op. 8 (1884)

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Aulin hinterließ eine Reihe von Chorwerken ganz diverser Provenienz, sowohl was das Sujet, als auch was die Besetzung angeht. Einige Lieder stehen neben wenigen Kammermusikwerken sowie Stücken für Klavier solo. Ihr erstes Streichquartett F-Dur op. 8 wurde 1884 komponiert. Aulin war zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre alt.

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Ein angenehmer, durch kleine wie größere Notenwerte satt instrumentierter F-Dur-Teppich geleitet uns hinein in die Welt des ersten Satzes (Allegro con grazia). Ein rhythmisch differenziertes wie gleichwohl sonniges, frühlingshaftes Thema weckt unser Interesse. Der herausstechende Takt mit der charakteristischen Punktierung stellt sich bald als exquisites Verwandlungsmodul heraus, mit dem Aulin auf mehr als nur »gelehrte« Weise rege Variationsspielchen betreibt. Äußerst agile Musik, zwischen Ausbruch und Introvertiertheit – mit »nordischen« Klangzauberinseln bestückt.

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Der zweite Satz (Intermezzo. Allegro con spirito e capriccioso) beginnt mit eindringlichen »Schwellern« – und findet eine fantastische, springende, sprunghafte Fortsetzung. Das ist rhythmisch sehr inspirierend angelegt und von großer, erzählerischer, lyrischer, poetischer – und pointenreicher – Wirkung. Warum in aller Welt hören wir dieses Streichquartett nicht in Konzerten der bekanntesten Streichquartette? Was ist das für eine tolle Musik! Eine Musik, die den Eindruck macht, schon immer dagewesen zu sein, nur völlig unbekannt. Bisher. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.