Es war der 17. März 1839. Im liechtensteinischen Vaduz kommt die spätere Chormusik-Kompositionslegende Josef Gabriel Rheinberger (1839–1901) zur Welt. Rheinberger erreichte mit 62 Jahren ein für die Zeit annähernd respektables Sterbealter. Die exakt 16 Tage zuvor – am 1. März 1839 – im südostfinnischen Rantasalmi geborene Laura Constanze Pistolekors wurde stolze 26 Jahre älter.
Bereits ein Jahr nach Lauras Geburt zog die Familie Pistolekors nach Schweden. Ihr Vater arbeitete als Stiftsassessor; Mutter Emilia war nur wenige Monate nach Lauras Geburt gestorben. Laura Pistolekors erhielt die ersten Klavierstunden von der zweiten Frau ihres Vaters, mit der sie offenbar ein gutes Verhältnis pflegte. Häufig veranstaltete die Familie musikalische Salons, bei denen später (1860) unter anderem das erste Klaviertrio von Elfrida Andrée uraufgeführt wurde. Laura Pistolekors studierte schließlich Klavier, Gesang und Komposition in Stockholm. Ihr Klavierprofessor war der österreichische Konzertpianist – und Organist der Stockholmer Jakobskirche – Anton Door (1833–1919), der noch bei Beethoven-Lehrer Carl Czerny (1791–1857) gelernt und in Musiktheorie bei Schubert- und Bruckner-Kontrapunkt-Professor Simon Sechter (1788–1867) ausgebildet worden war. Kompositionsunterricht erfolgte bei Pistolekors’ Landsmann Wilhelm Heintze (1849–1895). Bald wechselte Laura Pistolekors nach Paris, um ihr Studium in Gesang und Komposition bei der Orgel-Legende Charles-Marie Widor (1844–1937) fortzusetzen.
1856 kam es in Stockholm zu dem ersten großen Auftritt Pistokelors als Pianistin. 1866 heiratete sie den Gynäkologen und Geburtshelfer William Netzel, nahm dessen Namen an und bekam von ihm vier Kinder. Laura Netzel machte sich bald auch als Dirigentin einen Namen. Als Komponistin ließ sie – wie bekanntlich eine ganze Reihe von komponierenden Künstlerinnen – ihre Werke ab 1874 unter Pseudonym veröffentlichen (»N. Lago«). Auch tat sie sich als Konzertveranstalterin hervor. In den Jahren 1894 bis 1907 organisierte sie eine Vielzahl musikalischer Veranstaltungen in Stockholm, insbesondere Arbeiterkonzerte – und zeigte sich damit ähnlich organisatorisch engagiert-emanzipiert wie ihre Landsfrauen Elfrida Andrée (1841–1929) und Ika Peyron (1845–1922), die aus derselben Generation schwedischer Musikerinnen stammten.
Laura Netzel starb am 10. Februar 1927 in Stockholm im Alter von 88 Jahren und liegt in der Stockholmer Johanneskirche (Sankt Johannes kyrka) begraben.
Laura Netzel (1839–1927)
Sonate für Violoncello und Klavier e-Moll op. 66 (1899)
Es liegen unterschiedliche Angaben zu der Anzahl von Laura Netzels Werken vor, die zwischen »circa 70« und 92 schwanken. Darunter befinden sich Klavierstücke, Kammermusikwerke, Chorkompositionen und Lieder. 1899 komponierte Netzel ihre e-Moll-Cello-Sonate. Zum Zeitpunkt der Entstehung war die Komponistin 60 Jahre alt.
Kurz klopfen sich e-Moll-Akkorde im Part der rechten Hand des Klaviers ein. Doch sie entfalten keine langweilige, absehbare Fläche, sondern werden nach überraschend kurzer Zeit schon von dem eintretenden Cello-Thema kontrapunktiert. In typisch romantischer Manier greift das Cello nun aus, um den Hauptsatz zu formulieren. Interessant entschlüpft das Klavier sofort seiner »Begleiterrolle« und präsentiert extrem intelligente wie abwechslungsreiche Gegenstimmen und -motive. Das Aufstemmen beider Instrumente nach ein paar Momenten gelingt völlig ohne Pathos. Denn die rhythmischen Aufsplittungen sind durchaus nicht unkomplex – oder gar abgezirkelt komponiert.
Dürfen wir nach etwa zwei Minuten »endlich« E-Dur-Gefilde betreten, so sind diese ebenfalls nicht plump »umarmbar«, ermöglichen aber genauso stark klangliche, warm-lyrische Temperaturen, wie man sie nach den kleinteiligen Ereignissen in e-Moll gerne freundlich empfängt. Doch auch aus den E-Dur-Passagen entwickelt Laura Netzel sehr subtile Forterzählungen. Wie intelligent und inniglich linienhaft verbunden kann man eigentlich komponieren? Höchst erstaunlich, ja: meisterinnenhaft! ¶