Neuseeland und Großbritannien waren die ersten beiden Länder, die Deutschland – nach dem Überfall auf Polen am 3. September 1939 – den Krieg erklärten. Zu diesem Zeitpunkt war die am 29. Juli 1939 in Christchurch geborene Annea Lockwood gerade einmal gut zwei Monate alt. Auf ihrer offenbar von ihr höchstselbst betriebenen Webseite erteilt die heute 82-Jährige genauere Auskünfte über sich selbst – und ihre Musik.

Nach bereits emsigen musikalischen Unternehmungen in ihrem Heimatland Neuseeland zog es Lockwood 1961 – also mit 22 Jahren – nach England. In London studierte sie Komposition am renommierten Royal College of Music bei Peter Racine Fricker (1920–1990), einem Komponisten, der sich – ganz entgegen damals landläufiger Tendenzen – ganz und gar nicht »brav« an der Ästhetik von Ralph Vaughan Williams oder Gustav Holst orientierte, sondern eher von Schönberg, Bartók und Hindemith beeinflusst schien. Außerdem nahm Lockwood zusätzlich an den Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik teil. Von London ging es zur Fortsetzung des Studiums in die Niederlande und schließlich nach Köln, wo der 2021 verstorbene Komponist Gottfried Michael Koenig ihr Lehrer war.

Laut Selbstauskunft fühlte sich Lockwood selbst ästhetisch zu Komponistinnen und Komponisten wie Pauline Oliveros (1932–2016) und John Cage (1912–1992) hingezogen. Oliveros komponierte eine stellenweise extrem reduzierte Musik, die sich von einem eintönigen Einschwingen zu improvisatorischen Entwicklungen trägt. Darüber hinaus begeisterte sich Lockwood für die Musik der Vertreter der »Sonic Arts Union«, einer Gruppe von Komponisten, die zwischen 1966 und 1976 als Kollektiv auftrat, bestehend aus den US-Amerikanern Robert Ashley (1930–2014), David Behrman (*1937), Gordon Mumma (*1935) und dem legendären Klangexperimentator Alvin Lucier (1931–2021), der mit seiner selbstreferentiellen Raumkomposition I Am Sitting in a Room  (1969) Musikgeschichte schrieb. Mit den Vertretern der »Sonic Arts Union« hatte Lockwood auf den ONCE Festivals in Ann Arbor (Michigan) zusammengearbeitet. Aufgrund dieser Verbundenheit zog es sie in die USA. Auf Einladung der Komponistin Ruth Anderson (1928–2019) unterrichtete sie nun am Hunter College in New York. Wie sie selbst bezeugt, ist sie außerdem emeritierte Professorin am Vassar College.

In den 1960er Jahren hatte Lockwood viel Kontakt mit Klangkünstler:innen, Choreograph:innen sowie zu diversen Kolleg:innen aus dem Bereich der Bildenden Künste. In dieser Zeit entwickelte sie – tatsächlich im zeithistorischen Zusammenhang mit den ersten Herztransplantationsexperimenten weltweit – das Projekt Piano Transplants, dessen Entwicklung Ende der 60er begann und 1982 endete. Die 70er und 80er schließlich nutzte Lockwood, um sich eingehend mit der kompositorischen Verarbeitung von Umweltgeräuschen zu widmen. Häufig bediente sich die Künstlerin dabei einfachen technischen Hilfsmitteln – und nicht etwa den ambitionierten elektronischen Studios, beispielsweise in Köln (WDR). In den 90er Jahren schließlich erhielt Lockwood viele Kompositionsaufträge von diversen Ensembles, auch hier spielten elektronische Hilfsmittel sowie visuelle Elemente eine gewichtige Rolle. Ihre Kompositionskunst verstand Lockwood auch immer als Reflexion über politische Ereignisse, so verarbeitete sie in einem ihrer Stücke Texte von ehemaligen Guantanamo-Gefangenen.

Für ihre Arbeiten erhielt Annea Lockwood eine ganze Reihe von Auszeichnungen, so etwa den »Henry Cowell Award« im Jahre 2007.


Annea Lockwood (* 1939)
Piano Burning für Klavier solo (1968)

YouTube Video

In ihrem Stück für Solo-Klavier Piano Burning aus dem geschichtsträchtigen Jahr 1968 wird ein Klavier verbrannt. Die explizite Verbrennung von Klavieren hat – wie man liest – eine lange Tradition. Auch andere Arten der Zerstörung reihen sich hier ein, so etwa die gemeinschaftliche Gruppen-Zerklöpplung eines Flügels in Phil Corners Piano Activities (1962). Noch 2014 ließ der dänische Komponist Simon Steen-Andersen (wenn auch nur im Video) einen (Fake-)Flügel aus großer Höhe fallen (Piano Concerto). Doch anders als etwa bei der legendären Geigen-(De-)Komposition One for Violin Solo von Nam Jun Paik (ebenfalls aus dem Jahr 1962) sieht Komponistin Annea Lockwood in Piano Burning kein intaktes Instrument für die Interpretation des Ganzen vor. Sie selbst schreibt zu ihrem Werk: »Piano burning should really be done with an upright piano; the structure is much more beautiful than that of a grand when you watch it burn. The piano must always be one that’s irretrievable, that nobody could work on, that no tuner or rebuilder could possibly bring back. It’s got to be a truly defunct piano.«

Mit Brandbeschleuniger wird das Klavier langsam mit Feuer »versorgt«. Der Klang des (menschlichen) Entzünders (er schlurft) selbst ist offenbar Teil der Performance. Auf das erste Knistern lässt sich erst so richtig nach ein paar Momenten der (feurigen) »Stille« konzentrieren. In den oberen Gefilden der Tastatur scheint es etwas mehr zu brennen, wiewohl die Unterseite der Tasten gleichmäßig zu kokeln anfängt. Bald steht das Klavier – der untere Teil lässt noch auf sich warten – in lodernden Flammen. (Expert:innen denken an Skrjabins Vers la flamme op. 72, allerdings nur, was die Grundprogrammatik angeht.)

Einzelne Knacklaute werden lauter, doch bleiben sie in den ersten fünf Minuten selten. Bald reißen ganze Saiten! Nach fünf Minuten ergibt sich das vorläufig schönste Bild. (Auch die Optik von Piano Burning spielt eine bedeutende Rolle in der Rezeption.) Ab der sechsten Minute folgt eine nun dichtere Knisterfläche, die von zwei Helfern jedoch leider etwas unterminiert wird. Nach etwa sieben Minuten erscheint der »Klang des Feuers« tiefer, massiver, existenzieller. Kein Rauschen mehr, sondern ein schon fast plockiges Rieseln, das ab neun Minuten fast »hohl«, gaumig tönt.

Ungefähr ab der elften Minute häufen sich nun laute Knacklaute; existenziell, ernst. Bei Minute 11:29 kommt es zu einem ersten Höhepunkt: dem Ascheabfall eines großen Stücks des Instruments. Inzwischen brennt das ganze Klavier lichterloh. Ab der dreizehnten Minute gibt sich der Klang fast nagend; fies, staccatoartig. Bald sieht das (einstige) Klavier mehr aus wie eine Orgel – oder wie ein Sekretär. Das Gerippe des Inneren zeigt sich. Und bei Minute 16:39 fällt die gesamte rechte Flanke zu Boden. Minute 17:30 schließlich bringt den erlösenden (?) Schlussakkord. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.