250 Komponistinnen. Folge 63: Alles auf dem gleichen Ton.

Text · Datum 3.2.2021

Als Tochter griechischer Eltern wurde Graciela Paraskevaídis am 1. April 1940 in Buenos Aires geboren. Über ihre Kindheit und ihre musikalische Ausbildung lässt sich wenig herausfinden. In jedem Fall studierte Paraskevaídis am Konservatorium von Buenos Aires Komposition bei Roberto García Morillo (1911–2003). Morillos traditionalistische, durchaus – zumindest in ihren programmatischen Inhalten – national gefärbte Musik wirkt beeindruckend unbeeinflusst von der europäischen Avantgarde. Überhaupt scheint Morillo vor allem als sehr einflussreicher Funktionär auf argentinischem Boden gewirkt zu haben; so ließe sich auch die kurze Hommage an Roberto Garcia Morillo des wohl bekanntesten argentinischen Komponisten überhaupt – Alberto Ginastera (1916–1983) – in ihrem Entstehungskontext verstehen.

1965 und 1966 nahm Paraskevaídis an Seminaren am Instituto Torcuato Di Tella teil. Diese Studien wurden ermöglicht durch das Centro Latinoamericano de Altos Estudios Musicales, einer Institution mit äußerst interessanter und kaum musikwissenschaftlich aufgearbeiteter Geschichte, die Anfang der 1960er Jahre von Ginastera gegründet und von großen Stiftungen (Rockefeller und Ford Foundation) finanziell unterstützt wurde. Für kurze Zeit war das Studio des Instituts quasi der avantgardemusikalische Mittelpunkt Südamerikas; hier unterrichteten Größen wie Messiaen, Dallapiccola und Xenakis – und vermutlich kam eine ganze Generation junger argentinischer Künstler:innen somit erstmals in Kontakt mit zwölftönigen und seriellen Kompositionstechniken.

Für die Möglichkeit der Arbeit am Institut, das versuchte, Theater, Musik und Bildende Künste unter einem Dach zu vereinen, wurden alle zwei Jahre jeweils zwölf Stipendien vergeben. Unterrichtet wurden Komposition, Analyse, Chorleitung, elektronische Musik und anderen Fächer. Nach nicht einmal zehn Jahren wurde die Institution 1971 für immer geschlossen. (Angeblich befindet sich bis heute ein großes Schuhgeschäft in den damaligen Räumlichkeiten des Instituts.) Das Verbot jeden Unterrichts am Centro Latinoamericano de Altos Estudios Musicales ging auf Initiative des argentinischen Diktators Juan Carlos Onganía (1914–1995) zurück; Onganía hatte bereits Ende der 1960er Jahre studentische Protestbewegungen niederknüppeln lassen und die »Rockmusik der jungen Leute« als gegnerischen Aggressor ausgemacht. Auch die Avantgarde-Musik, die sich in Argentinien institutionell gerade erst zu entfalten begann, wurde als »feindlich-subversiv« entsprechend negativ gebrandmarkt.

Paraskevaídis hatte jedoch noch das Glück, vor Schließung der Einrichtung Unterricht bei der umfassend gebildeten Komponisten-Legende Iannis Xenakis (1922–2001) zu bekommen; außerdem war der Argentinier Gerardo Gandini (1936–2013) – ein gemäßigter Avantgardist – ihr Lehrer in Buenos Aires. Dank eines DAAD-Stipendiums konnte Paraskevaídis ihre Studien 1968 bis 1971 bei Wolfgang Fortner (1907–1987) in Freiburg fortsetzen; bei eben jenem Komponisten, der als Dirigent unter anderem Anfang der 1940er Jahre nach Griechenland – in das Land der Vorfahren von Paraskevaídis also – gereist war, um dort mit seinem Orchester aus Heidelberg die Wehrmachtstruppen musikalisch zu unterhalten. Griechenland hatte sich nach einem kurz mit »Nein« beantworteten Kapitulationsersuchen noch gegen die einfallenden italienischen Truppen erwehren können; der Wehrmacht hielt das griechische Bollwerk jedoch im Frühling 1941 nicht mehr stand und es folgte die Phase nationalsozialistischer Besatzung. Dieser potentielle Konfliktstoff war zwischen Paraskevaídis und Fortner aber wohl kein Thema; schließlich unterrichtete der später als »Mitläufer« entnazifierte Fortner durchaus als »links« geltende Komponisten wie beispielsweise Hans Werner Henze (1926–2012) und galt selber lange – verdrängerisch motiviert – als politisch »unverdächtig«.

Möglicherweise auch auf Initiative des einflussreichen Fortners nahm Paraskevaídis an den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik teil – und war somit längst in der Mitte der abendländischen Avantgardemusikszene angekommen. Insbesondere tat sie sich durch zahlreiche musikwissenschaftliche Publikationen hervor, die sich ausführlich mit der Musikgeschichte der lateinamerikanischen Welt beschäftigen. Zehn Jahre lange gab Paraskevaídis von 1990 an das Magazin der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) mit heraus und bereits 1985 erhielt sie eine Musikwissenschaftsprofessur an der Universität von Montevideo. In Uruguay lebte Paraskevaídis bereits seit 1975 – und starb ebendort am 21. Februar 2017 im Alter von 76 Jahren.

Graciela Paraskevaídis (1940–2017)algún sonido de la vida für zwei Oboen (1993)

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Graciela Paraskevaídis komponierte fast ausschließlich Kammermusik. 1993 entstand ihr Stück für zwei Oboen mit dem Titel algún sonido de la vida (Ein Geräusch des Lebens). Die ungewöhnliche – jegliche »Entfärbung« der einen Oboe durch ein anderes Instrument intentional umgehende – Besetzung ist auf eine Weise typisch für die Freiburger-Darmstädter Schule. Schon die Wahl zweier gleicher – und eben klanglich nicht sehr flexibler – Instrumente enthält in gewisser Weise ein Bekenntnis zur Avantgarde.

Trockene Staccato-Stöße gestalten die völlig trockene »Einleitung« aus. Nach einer Generalpause kommt es zu Wahrnehmungs- und Irritationsspielen zwischen den beiden in ihrer möglichen Klang-Unterschiedlichkeit absichtlich nivellierten Instrumenten. Es stottert fort und fort, Unterbrechungen, Fortsetzungen, Streitigkeiten, alles auf dem gleichen Ton.

Nach nicht ganz zwei Minuten folgt der erste deutlich vernehmbare Ausbruch aus dem fest gefügten – aber variativ lustig ausdifferenzierten – System; ein dröhnender-schneidiger Mehrklang (Multiphonic) schneidet bohrmaschinige Grimassen. Dieser »Widerspruch« führt zu einer temporären Entpflückung der Ton-Regelmäßigkeiten, um sich daraufhin in anderen Multiphonic-Zuständen wiederzufinden.

Fast exakt fünf Minuten nach Beginn kommen nun erstmals überhaupt andere Töne ins Spiel – völlig unpathetisch mittels einer vorherigen Pause »eingeleitet«. Paraskevaídis sucht also nicht den großen (etwas billigen) Effekt der »Überraschung« einer plötzlichen Erhöhung oder Herabgleitung des Tons, wie es in tonaler Musik Frédéric Chopin in seiner fis-Moll-Polonaise op. 44 (1841) – nach vielfachen Wiederholungen zweier a-Oktaven jeweils zu Beginn des Taktes – vorgeführt hatte. Stattdessen komponiert sie Musik, die angesichts der »intellektuellen Härte« von Xenakis beeinflusst scheint, gleichzeitig aber in der tonlichen Beharrlichkeit an gewisse rituelle Musiktraditionen ihres Heimatkontinents angedockt sein könnte.

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.