Historische Beispiele für berühmte Ehen zweier Komponierender gibt es wenige. Die sagenumwobene Prominenz der 1840er-Ehelichung von Robert und Clara Schumann überstrahlt alles. Gustav Mahler legte »seiner« Alma nahe, das Komponieren aufzugeben. Manches Mal endete die Karriere einer Komponistin mit Beginn der Ehe (wenn, wie meistens, der Mann selbst kein Komponist war) durch – man muss es so sagen – Verbot. Maria Margarethe Danzi »durfte« zeitgleich mit dem ihr seit 1790 angetrauten Franz Danzi weiterkomponieren, so auch Elisabeth von Herzogenberg (seit 1868 die Ehefrau Heinrich von Herzogenbergs). Im Falle der am 17. Oktober 1720 in Mailand geborenen Komponistin und Cembalistin Maria Teresa Agnesi ist noch nicht einmal klar, welcher Profession Pier Antonio Pinottini, ihr Gatte seit 1752, überhaupt nachging. Komponist war er wahrscheinlich nicht, und so untersagte er seiner Frau auch das Komponieren offenbar nicht. Dafür sorgte er anderweitig für eine tiefe Krise in ihrem Leben: Er verprasste das gesamte Vermögen der beiden und machte die aus sehr wohlhabendem Hause stammende Maria Teresa Agnesi zur verarmten Künstlerin.

Als eine der ganze wenigen Autorinnen überhaupt führt Pamela Youngdahl Dees (2002) an, dass die Familie Agnesi insgesamt 23 (schlaue) Köpfe zählte. Maria Teresa hatte also sage und schreibe 20 Geschwister. Maria Teresa Agnesis zwei Jahre ältere Schwester Maria Gaetana Agnesi (1718–1799) wurde zu einer der wichtigsten Wissenschaftlerinnen der Aufklärung. Vater Pietro Agnesi war bereits ein anerkannter Mathematik-Professor – und Mutter Anna Fortunata aus italienischem Adelshause. Das dritte Kind dieser Ehe (möglicherweise auch das zweite; die Angaben differieren) – Maria Teresa – fand also die allerbesten Bedingungen für eine absolut privilegierte Erziehung, Bildung und Ausbildung vor. Früh zeigte sich das Talent des Mädchens. Man vertraute sie dem Geiger und Komponisten Carlo Zuccari (1703–1792) – Verfasser einer eigenen Violinschule und so etwas wie ein komponierender Altersrekordler seiner Zeit – an.

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Maria Teresa Agnesi wurde in die »Accademia dei Trasformati« aufgenommen, einer aus Adligen, Geistlichen, aber auch Bildungsbürger:innen bestehenden Formation, die sich 1743 in Mailand gegründet hatte. Bei gewissen Anlässen der Akademie spielte Agnesi auf dem Cembalo vornehmlich Werke Rameaus. Und ihre Kantate Il ristoro d’Arcadia führte man am bedeutenden Teatro Regie Ducale in Mailand auf. Nach dem Tode ihres Vaters heiratete Maria Teresa Agnesi den besagten Pier Antonio Pinottini. Zeitlebens hatte sich der Vater gegen diese Eheschließung ausgesprochen. Ahnte er, dass Pinottini seine Tochter zu Grunde richten würde? Pier Antonio Pinottini hatte wirtschaftlich kein glückliches Händchen. Offenbar ging er verantwortungslos mit dem Geld um – und so musste das kinderlos bleibende Ehepaar bald Möbel und Kleidungsstücke verkaufen, um etwaige Schulden zu begleichen.

1793 starb Agnesis Ehemann. Zwei Jahre später verstarb auch Maria Teresa, am 19. Januar 1795 in Mailand; im Alter von 74 Jahren nach hohem Fieber. Bis heute hängt ihr Porträt im Theatermuseum der Mailänder Scala.


Maria Teresa Agnesi Pinottini (1720–1795)
Non piangete, amati rai (ca. 1748-55)

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Denn Maria Teresa Agnesi Pinottini ist eine bedeutende Figur der Operngeschichte! Pamela Youngdahl Dees bezeichnet sie gar als (zu ihrer Zeit) »einzig bekannte Komponistin der italienischen Opera seria«. Sie komponierte ein halbes Dutzend – auch zeitlebens erfolgreich in Mailand, Neapel, Wien und Dresden aufgeführte – Opern sowie Kantaten und Kammermusikwerke. Mitte des 18. Jahrhunderts entstand die Metastasio-Vertonung Non piangete, amati rai. Ob der Text aus ihrer (sonst nach eigenem Libretto entstandenen) Oper Ciro in Armenia (1753) stammt, das lässt sich nicht so leicht sagen. Metastasios Ciro riconosciuto (Wien 1736) jedenfalls diente einer prominenten Vielzahl von Komponisten als Grundlage musiktheatralischen Schaffens von 1736 bis 1818. Non piangete, amati rai aber erschien in einer Sammlung von zwölf einzelnen Arien für Sopran, Streicher und Basso continuo.

Der wunderschöne Metastasio-Text erzählt von Liebes- und Todessehnsucht. Über einem in Viertel ehern schreitenden Bass kommen die oberen Stimmen expressiv in Linien zusammen und entfernen sich wieder voneinander. Mit einer schmerzvollen, nach oben rückenden kleinen Sekunde beginnt die Gesangsstimme – und sinkt sogleich eine ganze Oktave hernieder. Sanft klagt es aus allen Stimmen hervor. Doch – trotz aller f-Moll-Trauerarienstimmung – erscheint das ganze Gefüge recht aufgelockert. Der Fokus liegt klar auf den besonderen, charakteristischen Linienausflügen des Soprans. Von größer Wirkung ist das von Agnesi auskomponierte »Stottern«; großartig, wie die Komponistin einzelne Worte herausnimmt, sie quasi stammelnd am Anfang des Dreiertaktes  als Viertel einsam in den Taktwald setzt – und darauf zwei Viertelpausen folgen lässt. Das ist von größter Wirkung – innerhalb dieser wunderbaren Arie. Eine Meisterin des expressiv Galanten! ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.